Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Frage nach Zukunft / Zielen

Maesi, Tuesday, 02.05.2006, 23:52 (vor 6569 Tagen) @ Leser734

Als Antwort auf: Frage nach Zukunft / Zielen von Leser734 am 01. Mai 2006 11:27:

Hallo Leser734

Ich lese hier schon lange mit und mir ist aufgefallen, dass
wohl nicht alle die gleiche Zielvorstellung haben.

Waere schlimm, wenn es anders waere und eine Einheitsmeinung im Forum vorherrschte.

Was sind nun die Ziele? Ich habe den Eidruck, dass die
Mehrheit hier das "alte" Familienbild, wie es zum Beispiel
bei Eva Hermann anklang, für nicht erstrebenswert halten.

Das 'alte Familienbild' ist in seinem Kern eine Versorgungsinstitution; es ging darum, das oekonomische Ueberleben des (durch Blutsbande zusammengehaltenen) Familienverbands zu gewaehrleisten. Im modernen Sozialstaat hat diese oekonomische Komponente massiv an Bedeutung verloren und wird im Rahmen eines weitgehend formalisierten Unterhaltsrechts mit einklagbaren Unterhaltsanspruechen vollstaendig von der traditionellen Familie entkoppelt; sofern der Unterhaltsverpflichtete nicht leistungsfaehig ist, springt subsidiaer der Sozialstaat ein. Herausgekommen ist ein Unterhaltsrecht, das einerseits soziale Sicherheit gewaehrt aber andererseits - objektiv betrachtet - auch parasitaer ist, da fuer den gesetzlich einklagbaren Unterhalt bzw. die staatlichen Sozialleistungen keinerlei Gegenleistung vom Unterhaltsempfaenger erbracht werden muss.

Was ist die Alternative?
Etwa Gleichberechtigung? Das heisst eine symmetrische
Beziehung in Ehe/Partnerschaft, keine asymetrische wie
in den 50-ger Jahren oder wie im Islam?

Sofern keine Kinder da sind, ist das kaum ein nennenswertes Problem, es sei denn, es ginge um hohe Summen im Rahmen des sogenannten Versorgungsausgleichs oder etwa des beruechtigten Aufstockungsunterhalts, was IMHO beides schon laengst aus dem modernen Scheidungsrecht hinausgeworfen gehoert.

Kompliziert wird es erst, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind. Man muss dann die Beziehungen konsequent auseinanderhalten. Da ist zum einen die Beziehung zwischen den Eltern, zum anderen aber auch die Beziehungen zwischen den Eltern und den Kindern. Die meisten (auch manche hier im Forum) erachten nur die elterliche Beziehung als relevant - eine Haltung, die sich etwa in susus Antwort auf Dein Posting recht deutlich wiederspiegelt. Die Trennung enthebt die Eltern jedoch keineswegs der Verpflichtung die Beziehung der Kinder zum jeweils anderen Elternteil zu achten und zu respektieren. Im deutschen Familienrecht nennt man das 'Bindungstoleranz'; ein Begriff, der (noch) weitgehend theoretische Bedeutung hat, weil er von vielen Erwachsenen (inkl. Familienrichter) nur als unnoetiger Zwang angesehen wird. Die Bindungstoleranz traegt dem immer wieder festgestellten Beduerfnis von Kindern nach Beziehungskontinuitaet zu den Eltern Rechnung; die Wichtigkeit der Unversehrtheit dieser Eltern-Kind-Beziehungskontinuitaet wurde z.B. in den Langzeituntersuchungen von Napp-Peters ganz klar festgestellt. Um es ganz offen zu sagen: wer keine Bindungstoleranz aufweist und die Beziehungen der Kinder zum anderen Elternteil sabotiert, ist nicht erziehungsfaehig und dem sollten folglich auch keine Kinder anvertraut werden; wer diesen Zwang zur Bindungstoleranz nicht akzeptieren kann, sollte sowieso von Anfang an die Finger vom Projekt Familie lassen.

Ich möchte zu gern wissen, wie es funktionieren soll.

Ich auch. Die traditionelle Familie mit Aufgabenteilung funktioniert heute offenbar nicht besonders gut; bloss scheinen die neuen Familienmodelle tendenziell noch schlechter zu funktionieren. So wird etwa gefliessentlich uebersehen, dass im hochgelobten Frankreich zwar die grosse Mehrheit der Muetter (im Gegensatz zu Deutschland) erwerbstaetig ist, aber nichtsdestotrotz die Haus-/Erziehungsarbeit weiterhin traditionell eher von Muettern erledigt wird oder zumindest in deren Verantwortungshoheit steht - also nix mit paritaetischer Aufgabenteilung. Noch immer stehen die Vertreter paritaetischer Ehe-/Partnerschaftsmodelle in der Pflicht nachzuweisen, dass ihre Modelle nicht bloss in wenigen Einzelfaellen sondern bei der grossen Mehrheit funktioniert. Bislang wurde dieser Nachweis, aller Schoenrederei und theoretischen Erwaegungen zum Trotz, noch nirgends auf der Welt erbracht - und das ist die eigentliche Achillesferse aller modernen, auf Theorien konstruierten Beziehungsmodelle.

Fazit: das eine ist die Wahlfreiheit, Beziehungen einzugehen und auch jederzeit wieder zu beenden; die Wahlfreiheit des Ehepaares, die eingegangene Beziehung durch gemeinsam eingegangene Kompromisse nach eigenem Ermessen zu gestalten. Diese prinzipielle Wahlfreiheit darf IMHO staatlich nicht angetastet werden; insbesondere geht es die Oeffentlichkeit nichts an, wie sich das Paar intern organisiert. Das andere ist die Frage, ob die gemaess eigener Wahlfreiheit eingegangene Beziehung in der Praxis auch funktioniert und wie gut. Moeglicherweise stehen wir tatsaechlich in einer Umbruchphase an deren Ende neue taugliche Familienmodelle herauskommen, wie Familientheoretiker vermuten; nach ueber drei Jahrzehnten herumexperimentieren, wo als Resultat lediglich der weitere Zerfall der traditionellen Familien bei gleichzeitig stetig zunehmender Unlust zur Familiengruendung zu verzeichnen ist, halte ich das jedoch fuer nichts als Illusion. Moeglicherweise wird am Schluss dieser sozialen Entwicklung das Kind als Eigentum des Elters (egal, ob maennlich oder weiblich) stehen, der dann auch fuer dessen materielle Versorgung/Erziehung verantwortlich ist. Der andere Elter (sofern er nicht gleich entfaellt, indem man das Kind klont) wird als anonymer Ei- bzw. Samenspender rechtlich gar nicht mehr fassbar sein, und das Kind wird im embryonalen Fruehstadium nach einer kuenstlichen Befruchtung in einer ebenso kuenstlichen Gebaermutter eingepflanzt, aus der es nach der ueblichen 'Tragzeit' herausgenommen wird. Heute vielleicht noch Fiktion, in einigen Jahrzehnten dank fortgeschrittener Fortpflanzungstechnologie aber womoeglich reine Routine. Spaetestens dann stellt sich die rechtliche Frage nach der biologischen Familie und Familienmodellen ueberhaupt nicht mehr.

Gruss

Maesi


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