Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Tuesday, 09.05.2006, 15:15 (vor 6565 Tagen) @ Nikos

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Nikos am 08. Mai 2006 18:04:

Hallo Nikos!

"Du meinst also, daß dort, wo viele Kinder geboren werden, eben deshalb, weil die "Bilanz" so positiv ausfällt bzw. ausfallen kann, die Menschen in Reichtum leben, sich also deswegen Kinder leisten können und auch leisten, während in Deutschland das nicht möglich ist?"

Nein. Reichtum oder Armut sind ohnehin relative Begriffe. Ich meine das so: In armen Ländern, wo es oft kein oder kein ausreichendes Rentensystem gibt, braucht man Kinder zur Altersvosorge. Das ist ein Pluspunkt auf der Rechnung. Weiterhin gibt es dort keine oder zumindest keine so strengen Gesetze wie in Deutschland zum Schutz der Kinder vor Erwerbstätigkeit. So kann man Kinder schon frühzeitig zur Arbeit schicken, und sie tragen zum Familieneinkommen bei. Das ist ein weiterer Pluspunkt.

Auch in armen Ländern gibt es oft Schulen. Manchmal gibt es auch Schulpflicht, die läuft dann aber meist nicht über 10 Jahre, und die Eltern müssen auch nicht soviel Geld für Unterrichtsmittel ausgeben wie in Deutschland. So ist die Schulpflicht für Kinder (sofern sie überhaupt existiert) nur ein relativ kleiner Minuspunkt für die Rechnung.

Zusätzlich gibt es in manchen armen Ländern durchaus Möglichkeiten, Kinder zu verkaufen. Das ist zwar meist illegal, wird aber offensichtlich immer wieder gemacht. Diese Option bildet dann einen weiteren Pluspunkt für die Rechnung.

In armen Ländern gibt es kaum Gesetze, die Eltern zu Taschengeldzahlungen für Kinder zwingen, teure Markenkleidung, Spielekonsolen usw. sind auch oft nicht üblich - alles das entfällt also und kann für die Kosten/Nutzen-Rechnung keinen Minus-Punkt bilden.

So fällt diese Rechnung in armen Ländern oft positiv aus, völlig unabhängig vom Einkommen der Eltern.

In Deutschland dagegen steht hohen finanziellen Kosten für Kinder ein geringer oder gar kein finanzieller Nutzen entgegen. Es ist in Deutschland heute unüblich, daß Kinder ihre Eltern ernähren. Ganz im Gegenteil: Häufig ist es so, daß Eltern und Großeltern auch erwachsene Kinder bzw. Enkelkinder noch finanziell unterstützen. Das geht auch oft gar nicht anders, weil Güter wie Grundstücke, Häuser oder Autos bezogen auf die Einkommen im Wert überproportional gestiegen sind. Viele Menschen können sich so etwas heute nur noch über Kredite leisten, dafür müssen sie dann aber Zinsen zahlen, was auch bei den derzeit niedrigen Zinsen eine hohe Belastung darstellt. So ist es heute sehr viel schwerer, ein eigenes Haus zu finanzieren als noch vor 50 Jahren.

Immer öfter wandern die Kinder heutzutage auch aus, weil sie in Deutschland keine berufliche Perspektive mehr sehen, oder sie bleiben arbeitslos. Vor allem in letzterem Fall liegen sie dann weiterhin den Eltern auf der Tasche.

So fällt die Kosten/Nutzen-Rechnung in Bezug auf Kinder eben in Deutschland oft negativ aus.

Nur für diejenigen, die sich um die Zukunft ihrer Kinder wenig Gedanken machen, kann sie positiv ausfallen. Denn für eine große Zahl von Kindern bekommt man auch entsprechend hohe finanzielle Unterstützung vom Staat. Wenn man für die Kinder nur das Allernötigste kauft, sie auch nur die billigste Ausbildung machen läßt und sie so bald wie möglich aus der Wohnung wirft, dann kann man von den Leistungen für Kinder durchaus leben.

"Ohne letztendlich den Wert, welchen man auf Kinder legt, zu definieren?"

Es ging nicht um emotionale Werte, sondern um einen rein finanziellen Kosten/Nutzen-Vergleich. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß auch in armen Ländern sehr wohl viele Menschen solch eine Kosten/Nutzen-Rechnung in Bezug auf Kinder aufstellen, daß sie also keineswegs nur aus emotionalen Gründen viele Kinder in die Welt setzen. So ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn Menschen in Deutschland das ebenso tun. Im Übrigen soll es ja auch so sein, daß auch Einwanderer, die schon länger hier leben, nicht mehr viele Kinder bekommen. Das liegt also nicht an den Menschen oder an irgendeiner speziellen Mentalität, sondern es liegt an den Rahmenbedingungen.

"Also, ist es dasselbe NICHTS zum trinken zu haben und Kinder oder keine Kinder zu bekommen, und Kinder oder keine Kinder deshalb zu bekommen, weil man dann nicht drei mal sondern nur ein mal im Jahr in den Urlaub fährt bzw gar nicht mehr fahren könnte?"

Darum ging es mir nicht. Es ging einzig und allein nur darum, ob die Kosten/Nutzen-Rechnung insgesamt positiv oder negativ ausfällt. Wie hoch die Kosten bzw. der finanzielle Nutzen bei einem Kind sind, spielt dabei keine Rolle.

Wenn man nichts zu essen hat, ein Kind aber schon frühzeitig für sich arbeiten lassen kann, dann ist das eben ein Grund für ein Kind. Hat man aber nichts zu essen und kann ein Kind aus gesetzlichen oder anderen Gründen nicht für sich arbeiten lassen, dann hat man einen Grund gegen ein Kind, weil man es dann ja auch noch ernähren muß.

Im Übrigen gibt es in Deutschland auch genügend kinderlose Menschen, die sich nicht mal eine Urlaubsreise im Jahr leisten können. Und das sind keineswegs nur Erwerbslose.

"Auch wenn diese Freuden eben mit eine Sicherung des Eigenüberlebens im Alter gekoppelt sind oder diese beeinhalten, oder es auschließlich diese sind. Daran sehe ich persönlich nichts schlimmes."

Es ist auch nicht schlimm. Ich meinte das nicht wertend, sondern ich meinte es einfach nur so, daß Eltern in armen Ländern eben sehr wohl daran denken, wenn sie Kinder möchten.

"Ich würde gerne meine Eltern unterstützen, wenn sie alt sind. Das haben sie für mich auch getan, als ich klein war."

Das würde ich auch tun. Nur sind leider in Deutschland immer mehr junge Menschen finanziell nicht dazu in der Lage, ihre Eltern zu unterstützen. Weil sie selbst nichts haben. Somit können Eltern sich in Deutschland eben nicht darauf verlassen, von den Kindern später mal unterstützt zu werden.

"Doch sobald man "befreit" ist, sobald das Ganze plötzlich "Rentensystem"
genannt wird, sobald man sich nur als Individuum sieht, von der ganzen Umgebung abgeschnitten und die eigene Freiheit als das wichtigste auf Erden betrachet, vergisst man ganz schnell, daß, trotz eines vorhandenen "Systems" zur Sicherung/Umverteilung der Renten, im Grunde auf das gleiche Prinzip aufgebaut werden muss."

Das ist keineswegs ein Muß! Man kann auch selbst Geld fürs Alter zurück legen und dann später davon leben und auch eventuell nötiges Pflegepersonal bezahlen. Das deutsche Rentensystem verbaut vielen Menschen diesen Weg aber, weil es ihnen so viel Geld nimmt, daß sie eben nicht mehr viel fürs Alter zurück legen können. Damit verkehrt sich der ursprüngliche Sinn dieses Rentensystems ins Gegenteil.

"Das Gegenteil zu behaupten, daß man keine Kinder braucht um glücklich zu sein, halte ich aber nicht nur für falsch, sondern für naiv und eigentlich schmarotzerisch."

Hm, was sollen dann aber die Menschen tun, die keine Kinder bekommen können? Z.B. aus medizinischen Gründen, oder einfach mangels Partner? Das System der Versorgung der Alten über ihre Kinder kann also gar nicht für jeden Menschen funktionieren!

"Die Zeugung von Kinder zu verweigern, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung negativ ausfällt, obwohl man selber bei Zeiten gezeugt und geboren worden ist, ist für mich als ob ich niemals zur Versicherungskasse zahlen will, von dort aber die volle Leistung erwarte."

Tja, aber auch Kinderlose zahlen in die Rentenversicherungskasse ein, und zwar (allein schon durch die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten für die Rente) bezogen auf einen Renten-Euro mehr als Menschen mit Kindern! Obendrein tragen sie auch noch eine höhere Steuerlast und finanzieren so auch die Zuschüsse zur Rentenkasse aus Steuermitteln stärker mit! Es ist eben gerade nicht so, daß Kinderlose nichts zahlen und dafür trotzdem Leistungen erwarten! Ganz im Gegenteil: Sie zahlen effektiv mehr als Eltern, und natürlich erwarten sie dafür eine Leistung! Was bleibt ihnen denn anderes übrig? Sie können nicht ausreichend selbst vorsorgen, da das staatliche Rentensystem ihnen das Geld dafür nimmt. Sie werden aber auch nicht aus diesem Rentensystem entlassen, weil es ohne die finanziellen Leistungen der Kinderlosen nämlich sofort zusammen brechen würde.

Im Rahmen des jetzigen Systems gibt es dafür keine Lösung. Also muß das System geändert werden. Mehr Kinder sind nämlich auch keine Lösung. Vor Jahrzehnten geborene Kinder könnten heute den Zusammenbruch des Rentensystems noch hinauszögern, aber sie könnten ihn auch nicht aufhalten. Und wenn wir heute mehr Menschen hätten, gäbe es nicht nur mehr Erwerbstätige, sondern auch entsprechend mehr Erwerbslose, die eben effektiv nichts zahlen können. Da die Zahl der Rentner etwa gleich wäre, würde die Rentenkasse ein wenig besser dastehen, aber die übrigen Sozialkassen hätten durch mehr Erwerbslose höhere Kosten, so daß die Steuergelder, die dann nicht in die Rentenkasse fließen müßten, dann eben dorthin fließen würden. Unterm Strich wäre nichts anders!

Die steigende Erwerbslosigkeit ist das Problem! Gäbe es mehr Jobs, dann würden auch die Geburtenzahlen wieder steigen. Aber es wird nicht mehr Jobs geben. Woher sollten die auch kommen? Momentan geht es der Wirtschaft in Deutschland prima - wenn das kaum zusätzliche Jobs generiert, dann kann man sich vorstellen, was in der nächsten Krise geschehen wird... Schon jetzt sind hunderttausende Jugendliche erwerbslos. Wem nützt eine weitere Erhöhung dieser Zahl?

"Vergleichbar wäre das Ganze, wenn in armen Gesellschaften auch keine Kinder mehr kämen, dort aber die Menschen weiterhin darauf bestunden, im Alter von (nicht vorhandenen) Kinder versorgt zu werden. Das wäre dann vergleichbar mit der Situation in Deutschland heute."

Nicht ganz - ohne hohe Kosten für ein staatliches Rentensystem hat man zumindest theoretisch die Möglichkeit, selbst Geld fürs Alter zurück zu legen. Und ohne Kinder müßten ohnehin die Alten weiter arbeiten, bis sie tot umfallen.

"Das o.g. Prinzip (Stark hilft Schwach) würde zusammenbrechen, wenn es plötzlich einer der beide Gruppen zu stark zu- oder abnimmt."

Es hängt aber eben nicht nur von der zahlenmäßigen Stärke der Gruppen ab! Die Jungen können nur dann ihren Beitrag zur Rente leisten, wenn sie auch legale Jobs finden und somit Rentenbeiträge zahlen. Das ist der zweite Faktor, den man dabei berücksichtigen muß.

Freundliche Grüße
von Garfield


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