Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Was mich interessieren würde...

Andreas (d.a.), Saturday, 12.03.2005, 14:01 (vor 7188 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Was mich interessieren würde... von Arne Hoffmann am 12. März 2005 11:13:22:

Die Frage, auf welchem von verschiedenen Wegen mehr Leben gerettet werden können, ist nicht von moralischer Relevanz?

Hallo Arne.

Es ist von untergeordneter Relevanz, denn es geht nur auf der einen Seite um Lebensrettung, auf der anderen bestenfalls um die Rettung der Lebensqualität (medizinische Notfälle ausgenommen). Das Problem, das ich mit Deinem Liberalismusbegriff habe, ist seine Undefiniertheit: "liber", eines Freien würdig, okay. Die freie Entscheidung hast Du; als Mensch bist Du in der Lage, über die Folgen Deines Handelns zu reflektieren. Du kannst frei entscheiden, ob Du ein Kind willst - aber bevor Du es zeugst! Niemand wird zwangsinseminiert. (Vergwaltigungsopfer ausgenommen, bei denen der Fall selbstverständlich etwas anders läge. Aber dieser Kreis macht nur einen verhältnismäßig kleinen Prozentsatz der Abtreibenden aus.) Liberalität, Freiheit kann sich nur auf diese Bereiche beziehen, in denen das Individuum über sich selbst verfügt. Du würdest es nicht als Liberal bezeichnen, einen Kriminellen laufen zu lassen. In diesem Fall würdest Du Liberalität dort verorten, wo sie hingehört: An den Anfang, dort, wo über die Tat reflektiert wird, und bevor sich entschieden wird, ein Verbrechen zu begehen. Danach hat man seinen Weg gewählt. Hinterfrag mal Dein Liberalismusverständnis. Das ist nicht böse gemeint.

Seltsamerweise ist es bei der Sexualität, diesem ich-bezogenen Religionssurrogat der Moderne, diesem Moloch, ganz anders: Schränkt man die Freiheit der eigenen Göttlichkeit ein? Ein göttliches Attribut ist die Allmacht, die eigene Allmacht äußert sich gerade darin, dass sie natürliche Folgen aushebeln kann. Auf der Ebene der Sprache zumindest.

Ich weiß, dass Du Dich sehr für die sexuelle Selbstbestimmung engagierst. Das ist wirklich gut. Aber Sex hat, trotz allem, eine Funktion, die über die bloße Selbstverwirklichung hinaus geht: Neues Leben entsteht so. In der Argumentation der Abtreibungsbefürworter wird dieser Punkt verschoben: Sex, und seine Folgen, sind absolut der eigenen Entscheidung unterworfen. Nur dass diese Folgen ein Kind sind. Aber ein Kind wird es nach dieser Definition nicht durch einen natürlichen Vorgang, sondern durch den Willensentscheid - leben lassen! Diese Auffassung fügt sich perfekt in die Theorie vom sich in allem selbsterschaffenden Menschen, der sich auch da noch Entscheidungskompetenz anmaßt, wo sie schon längst das Recht und Leben eines anderen betrifft. Das ist bei einer Abtreibung der Fall.

Das Leben fließt - diese Grenze Zellhaufen-Mensch gibt es nicht. Keine Frau sagt, sie erwarte einen Zellhaufen, oder einen Lurch, oder einen Fötus. Sie erwartet ein Kind (romantischer ausgedrückt sagte man mal, sie sei guter Hoffnung). Gerade dieses Fließen, dieses Unscharfe, das sich einer mechanistischen Auffassung von Mensch und Leben, bei der man den Anfangspunkt genau definieren kann, widersetzt, nötigt uns unendlichen Respekt dafür ab. Das Leben beginnt mit der Zeugung und endet mit dem Tod. Eine "Fristenlösung" missachtet diesen Umstand, sie klammert einen Bereich im Leben des Menschen, der von Medizinern und Psychologen als durchaus bedeutsam und prägend eingeschätzt wird, aus. Frag Dich mal, wofür dieses Opfer der Humanität erbracht wird. Und mit welchen Argumenten. Dieses "sich selbst feiernde Mitleid" (Dörner), anderen ein Leben in Ungeliebtheit zu ersparen, die Bürde der Versorgung - all die Argumente lassen sich nicht auf Ungeborene beschränken. Aber Liberalität ist ein Luxus derjenigen, die sich Gehör verschaffen können.

Ein schönes Wochenende trotzdem, herzlichen Gruß

Andreas (d.a.)

P.S.: Übrigens spielt es für mich nur eine nebengeordnete Rolle, ob ich mit meinen Argumenten hier wirklich jemanden erreiche. Ich tue das in erster Linie auch für mich selbst: Denn wenn bei so einem Thema, das weit über den Geschlechterhickhack hinausgeht, nicht mein verdammtes Maul aufbekomme, dann sollte ich es besser für ewig schließen.


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