Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Gender mainstreaming oder Der totale Realitätsverlust

susu, Sunday, 05.03.2006, 04:44 (vor 6842 Tagen) @ Scipio Africanus

Als Antwort auf: Gender mainstreaming oder Der totale Realitätsverlust von Scipio Africanus am 04. März 2006 21:03:

"... fusst auf der Beobachtung, dass eine Vielzahl sozialer Geschlechter sowie verschiedenste Begehrensweisen unterschieden werden können und auch das biologische Geschlecht Produkt soziokultureller Konstruktionen ist."

Ist eine absolut korrekte Aussage. Ich würde es allerdings anders formulieren: "Es gibt das biologische Geschlecht schlicht und ergreifend nicht". Es gibt keine Eigenschaft, die auf alle als Männer bezeichneten Personen zuträfe und keine die auf alle als Frauen bezeichneten Personen zuträfe. Was es in der Biologie gibt sind einzelne Geschlechtsdefinitionen, die vor allem der Textlesbarkeit dienlich sind. Oder was würdet ihr lieber 50 mal in einem Artikel lesen: "females" oder "monozygotic mRNA transmitters" (und das ist noch ein kurzes Beispiel, ich will gar nicht erst von SOX-Genen anfangen). Keine dieser Definitionen ist alltagskompatibel und untereinander sind sie ordentlich, aber nicht perfekt korreliert. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Person bei allen Definitionen das gleiche Geschlecht hat ist ca. 1:500. Und das auch nur wenn wir für die Genetischen Definitionen von der Mahrheit der Zellen ausgehen. In einem durchschnittlichen Erwachsenen weicht etwa eine Milliarde Zellen genetisch vom überwiegenden Genetischen Geschlecht ab.

Vieleicht sollte ich auch noch eimal erklären, was der Unterschied zwischen sozialer Konstruktion und Sozialisation ist, das scheint ja einigen nicht klar zu sein.

"[Sozialisation] bezeichnet zum einen die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen, materiellen und sozialen Umwelt, zum anderen die sozialen Bindungen von Individuen, die sich im Zuge sozialisatorischer Interaktionen konstituieren." (Wikipedia)

Wer es platt haben will: Alles was anerzogen ist.

Soziale Konstruktion ist ein Prozess, in dem ein Begriff gebildet wird, der zum einen der Kommunikation dient, zum anderen aber auch unhinterfragte Ideen (Dispositive) enthält. Dieser Begriff wird dann reifiziert (verdinglicht), d.h. es wird ihm eine eigenständige Realität zugesprochen. Es gibt ja die schöne Redensart, daß jemand den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe. Aber was ist das, Wald?

Wikipedia: "Ein Wald ist ein Ökosystem, das dauerhaft mit Gehölzen wie Bäumen bewachsen ist. Die Food and Agriculture Organization spricht von Wald, wenn die Bäume mindestens drei Meter in winterkalten Gebieten oder mindestens sieben Meter in gemäßigtem Klima hoch sind."

Das Bundeswaltgesetz hingegen definiert:

"Wald

(1) Wald im Sinne dieses Gesetzes ist jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche. Als Wald gelten auch kahlgeschlagene oder verlichtete Grundflächen, Waldwege, Waldeinteilungs- und Sicherungsstreifen, Waldblößen und Lichtungen, Waldwiesen, Wildäsungsplätze, Holzlagerplätze sowie weitere mit dem Wald verbundene und ihm dienende Flächen."

Sind jetzt kahlgeschlagene Grundflächen Wald (BWaldG) oder nicht(FAO)?

Die Schweitzer gehen noch weiter:
"Als Wald gilt jede Fläche, die mit Waldbäumen oder Waldsträuchern bestockt ist und Waldfunktionen erfüllen kann. Entstehung, Nutzungsart und Bezeichnung im Grundbuch sind nicht massgebend." (SR 921.0 Bundesgesetz über den Wald)

Wald ist, wo Wald wächst und Waldfunktionen erfüllt sind. Da beißt sich die Schlage in den eigenen Pöter (tut sie es im Wald?).

So richtig klar was Wald eigentlich ist, kann niemand sagen (am allerwenigsten die Schweizer, wobei Östereich direkt mal auf eine gesetzliche Definition von Wald verzeichtet). Ob die Bäume hinterm Ort "Wald" genannt werden hängt von sozialer Konvention ab. Wenn jemand mit Verweis auf das BWaldG die Umbenennung des Schwarzwaldes forderte, weil dieser nicht wirklich ein Wald ist (teilweise sind da riesige Flächen, wo kein Baum steht, z.B. Freiburg), dann würde man diese Person mit bösen Blicken strafen. Wald ist ein sozialer Konstrukt, das sag ich frei heraus.

Warum nun wird beim Geschlecht so ein Terz darum gemacht, wenn gesagt wird, es handele sich ebenfalls um ein soziales Konstrukt? Also etwas, von dem niemand genau weiß, was es ist, bei dem aber alle denken, sie würden es schon erkennen? Der Grund ist einfach: Die Fichte scherst sich nicht, ob sie im Wald steht, oder nicht. Dagegen ist es für die meisten Leute dann doch wichtig zu wissen, ob sie Männlein oder Weiblein sind. Denn und da kommt jetzt doch mal die Sozialisation mit ins Spiel: Für Männer und Frauen gelten unterschiedliche Spielregeln. Nehmen wir mal an Klaus-Jürgen wäre das egal gewesen. Irgendwann sucht Klaus-Jürgen einem Psychoanalytiker auf. Und der Erkennt sofort: DSM IV: 302.6 Gender Identity Disorder Not Otherwise Specified. Denn wenn einem das mit dem Geschlecht genau so piepegal ist, wie der Fichte das mit dem Wald ist man krank. Die Fichte könnte zumindest noch im BWaldG nachschlagen, ob sie jetzt im Wald steht, oder nicht. Klaus-Jürgen kann das nicht, denn um eine Definition drückt sich der Gesetzgeber und reicht die Entscheidungskompetenz an die Gynäkologen weiter. Jetzt war der im Falle von Klaus-Jürgen kurzsichtig und hat das Kreutzchen falsch gesetzt. Da kommt Klaus-Jürgen nicht mehr raus (Änderung des gesetzlichen Geschlechts ist nur nach dem TSG möglich und dafür ist Unfruchtbarkeit Voraussetzung. Müste sich Klaus-Jürgen also erst mal die Eierstöcke entfernen lassen.)

Wir fassen also zusammen: Geschlecht ist ein soziales Konstrukt. Niemand weiß was es ist, aber wer konsequenterweise diese Erkenntnis auf sich selbst anwendet ist psychisch krank. Das mag alles nach Haarspalterei klingen, aber wenn es das wäre, wäre die Männerbewegung überflüssig.

susu


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