Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Das Zerrüttungsprinzip ist besser als sein Ruf

Beelzebub, Monday, 09.10.2006, 23:11 (vor 6482 Tagen)

Es ist hier in letzter Zeit immer mal wieder mehr oder weniger heftige Kritik an dem seit 1976 geltenden Scheidungsrecht geübt worden, in dem das Zerrüttungsprinzip (an Stelle des bis dahin geltenden Schuldprinzips) als Voraussetzung für eine Ehescheidung festgelegt wurde.

Oft wird dabei laut dem angeblich so viel besseren Schuldprinzip nachgeweint. Ich will den Leuten mit dieser Einstellung zunächst mal zugute halten, dass sie das aus reiner Unwissenheit über eine Rechtslage tun, deren Folgen sie nicht kennen, ja wahrscheinlich nicht einmal ahnen.

Von solcher Ahnungslosigkeit zeugt insbesondere ein Beitrag von DschinDschin vom 13.08.2006 in dem u.a. die Rede davon ist, dass das neue Scheidungsrecht geschaffen wurde, um "totalitären Typen" den Zugriff auch in die privatesten Lebensräume zu ermöglichen.

DschinDschin, zum Beweis, wie sehr du mit dieser Ansicht - zumindest in Bezug auf?s Scheidungsrecht ? danebenliegst, dafür sei dir und allen anderen, die das Schuldprinzip für so toll befinden, die Lektüre eines nachfolgend in Auszügen zitierten Scheidungsurteils aus der "Vor -´68 - Epoche" nahegelegt.

Es handelt sich um eine Entscheidung des für Familienrecht zuständigen 4. Zivilsenats am Bundesgerichtshof (BGH) vom 2.11.1966 (Aktenzeichen IV ZR 239/65). Der vollständige Text der Entscheidung kann nachgelesen werden in der NJW (Neue juristische Wochenschrift), Jahresband 1967, S. 1078ff.

Zur Vorgeschichte der nachfolgenden Entscheidung:

Ein Mann hatte im Jahr 1961 auf Ehescheidung geklagt. Die Klage wurde zunächst in zwei Instanzen abgewiesen und auf die Revision des Klägers hin wurde das Berufungsurteil wegen eines Formfehlers vom BGH aufgehoben.

Es ging also wieder von vorne los, erneut wurde die Klage von zwei Instanzen abgewiesen. Der Mann legte erneut Revision ein. Nachfolgend jetzt ein paar Auszüge aus der erneuten Revisionsentscheidung:


Der BGH fasst zunächst den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt so zusammen:

"Im weiteren Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, die Zerrüttung der Ehe sei aus der Einstellung der Beklagten zum ehelichen Verkehr entstanden. Sie habe ihm erklärt, sie empfinde nichts beim Geschlechtsverkehr und sei imstande, dabei Zeitung zu lesen; er möge sich selber befriedigen. Der eheliche Verkehr sei eine reine Schweinerei. Sie gebe ihm lieber Geld fürs Bordell. Sie wolle auch nicht mit einem dicken Bauch herumlaufen; mit Kindern wüßte sie gar nichts anzufangen. [...] Die Beklagte habe sich beim ehelichen Verkehr entsprechend verhalten. Auf dieser Einstellung beruhe es, daß er sich mehr und mehr seiner Angestellten, der Zeugin D. zugewandt und die Zeugin in seine Wohnung aufgenommen habe. Zum letzten Verkehr mit der Beklagten sei es 1950 gekommen.

Die Beklagte hat der Scheidung widersprochen. Sie hat behauptet, die Zerrüttung der ehelichen Gesinnung beim Kläger habe ihre Ursache in dieser Hinwendung zur Zeugin D. Bis 1950 hätten die Parteien etwa wöchentlich miteinander verkehrt. Sie habe nie Widerwillen oder Gleichgültigkeit gegen den Geschlechtsverkehr oder gegen eine Mutterschaft geäußert. Im November 1950 habe ihr die Zeugin Beziehungen zum Kläger eingestanden. Trotz dieser Belastung des ehelichen Verhältnisses sei es aber bis zum März 1952 durchweg noch alle 4 Wochen zum Verkehr gekommen.

Die Parteien haben weiter vor allem darüber gestritten, ob auch die Beklagte sich von der Ehe abgewandt und Beziehungen zu ihrem Untermieter P. aufgenommen habe."

Sodann zitiert der BGH in Auszügen die Entscheidungsbegründung der Berufungsinstanz. Die Wiedergabe habe ich der besseren Lesbarkeit halber vom Konjunktiv in den Indikativ übersetzt.

"Die Beklagte hat auch den ehelichen Verkehr nicht schlechthin abgelehnt. Sie hat sich vielmehr vor dem Dazwischentreten der Zeugin im Rahmen dessen bereitgefunden, was der Kläger hat beanspruchen können. (...) Da feststeht, dass die Parteien bis 1952 regelmäßig miteinander verkehrt haben, kommt der angeblichen Äußerung der Beklagten, der eheliche Verkehr sei eine reine Schweinerei, keine erhebliche Bedeutung zu. Sie kann aus einer Verstimmung heraus gefallen sein; später kann die Beklagte dem Kläger damit auch bedeutet haben, daß er durch sein Verhalten sein Recht aufehelichen Verkehr in Frage stelle. Die übrigen von ihr behaupteten Äußerungen über den ehelichen Verkehr sind grobe Taktlosigkeiten, ungehörig und eine Kränkung des Klägers. Sie lassen aber nur erkennen, daß die Beklagte zum ehelichen Verkehr nicht immer aufgelegt gewesen sei. Die Gründe könnten gerade in der Person des Klägers und seinem Verhalten gelegen haben.

(...)

Zu Lasten der Beklagten ergab zwar ein Brief vom Juni 1957, daß sie den Kläger als "Putzlumpen" und "verkommenes Stück" beschimpft hat; es handelt sich aber um eine Reaktion auf die Fortführung seines Verhältnisses zu der Zeugin. Vorzuwerfen ist der Beklagten auch, daß sie sich gegenüber Dritten herabwürdigend über den ehelichen Verkehr und über den Kläger geäußert hat. Selbst wenn man aber hinzunimmt, daß sie gesagt haben soll, sie hätte nichts gegen einen Autounfall des Klägers, ändert sich an dessen überwiegenden Verschulden und damit an der Zulässigkeit des Widerspruchs nichts. Ein ehewidriges Verhalten im Umgang mit dem Zeugen P. war der Beklagten nicht nachzuweisen."

Anmerkung: Ist es nicht erstaunlich, was nach Ansicht eines Gerichts auch in der Zeit vor 1968 eine Frau sich so alles gegenüber ihrem Mann herausnehmen durfte, ohne dass dies einen Scheidungsgrund dargestellt hätte? Noch ein Grund mehr für das Zerrüttungsprinzip!


Der BGH hob das Berufungsurteil zwar auf, gab aber dem Scheidungsbegehren nicht etwa statt, sondern verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurück. Wann und mit welchem Ergebnis der (zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als 5 Jahre andauernde) Prozeß dann sein Ende fand, war nicht herauszufinden.

Ein paar Sätze aus der Entscheidung des BGH verdienen es, der Nachwelt erhalten zu werden:

"Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen."

Im Klartext: Es kann zur ehelichen Pflicht gehören, einen Orgasmus notfalls vorzutäuschen.

(...)

"Daher kann nicht offen gelassen werden, ob die Beklagte die zahlreichen vom Kläger behaupteten und im angefochtenen Urteil unterstellten Äußerungen über den Geschlechtsverkehr in der Ehe und über die Mutterschaft tatsächlich getan hat oder nicht.

(...)

Für eine zutreffende Würdigung des Ausspruches, der eheliche Verkehr sei eine reine Schweinerei, der im angefochtenen Urteil eine besondere Behandlung erfährt, wäre erheblich, ob er schon vor der Aufdeckung des ehebrecherischen Verhältnisses gefallen ist, wie der Kläger vorträgt, oder sich auf dieses Verhältnis bezieht, wie der Berufungsrichter zu erwägen scheint.

(...)

Der Berufungsrichter wird sich daher zunächst darüber schlüssig werden müssen, ob er (...) für bewiesen erachtet, was im angefochtenen Urteil unterstellt worden ist. Wenn die Beklagte in der Ehe eine Grundeinstellung zum Ausdruck gebracht hat, die auf der Linie der von den Zeugen wiedergegebenen Äußerungen lag, dann bedarf es ernsthafter Prüfung, ob dem Kläger dadurch die eheliche Geschlechtsgemeinschaft nicht auf Dauer unerträglich geworden ist."

Im Klartext: es ist noch nicht tief genug im Intimleben eines hoffnungslos zerstrittenen Ehepaares herumgewühlt worden, als dass es für eine Scheidung reichen könnte.

Ob das nun der herrschenden Meinung in diesem Forum entspricht oder nicht: ich für meinen Teil halte es für eine sehr begrüßenswerten Verbesserung, dass es durch die lange überfällige Abschaffung des Schuldprinzips nunmehr möglich ist, eine kaputte Ehe zu beenden, ohne dafür detailliert vor Gericht vortragen und ggf. auch noch beweisen zu müssen, wie oft, wann zuletzt und auf welche Weise genau in der zu scheidenden Ehe gevögelt wurde oder wer wann wem welche Verbalinjurie an den Kopf geworfen hat.

Die Reformer des Scheidungsrechts haben offenbar etwas begriffen, für das schon unsere Urahnen mit eine Spruchweisheit kannten: Liebe und Singen lässt sich nicht zwingen.

Nicht das Scheidungsrecht ist es, was der Reform bedarf, sondern das Unterhaltsrecht! Leider ist der Gesetzgeber hier auf halbem Wege stehen geblieben und hat der Emanzipation der Frau (Emanzipation im positiven Sinne) nicht Rechnung getragen und ihr angemessener Weise zugemutet, wenn sie keine Lust mehr auf eheliche Gemeinschaft hat, ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen.

Und wenn dagegen vorgebracht wird, das werde nicht geschehen, weil die "Emanzen und ihre Schoßhündchen" das nicht wollen, so sei hierzu erwidert: selbst im feministischen Musterländle Schweden sind die Gesetze so, dass Frauen nach einer Scheidung keinen Anspruch auf Unterhalt haben.

Es dürfte unseren tollen "Powerfrauen" auch einigermaßen schwer fallen, zu begründen, warum Frauen nicht in der Lage sein sollen, einen Beruf auszuüben und davon auch existieren zu können.

DaPis & Frakalbes

Beelzebub

--
"Ihre Meinung ist widerlich. Aber ich werde, wenn es sein muß, bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Sie sie frei und offen sagen dürfen." (Voltaire)

Ich denke, also bin ich kein Christ. (K. Deschner)


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