Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Verständliche Antwort, aber...

Garfield, Tuesday, 03.12.2002, 16:23 (vor 8016 Tagen) @ Jens

Als Antwort auf: Verständliche Antwort, aber... von Jens am 02. Dezember 2002 21:05:13:

Hallo Jens!

"Dieser Zweck gilt heute immer noch, und zwar ausschließlich. Wehrpflicht dient nur dazu, das Land im Falle eines Angriffes zu verteidigen."

Ja, und da haben wir schon mal das Problem der Definition des Wortes "Angriff". George Bush beispielsweise ist offensichtlich der Meinung, daß grundsätzlich alles, was den USA nicht in den Kram paßt, ein Angriff ist, der automatisch zum NATO-Bündnisfall führen sollte... Wenn das in der NATO tatsächlich zur Regel werden sollte, dann wird Deutschland wohl bald mindestens einmal jährlich "angegriffen".

"Ein Angriffskrieg steht grundsätzlich außer Frage."

Wirklich? Das Grundgesetz wird sowieso so hingebogen, wie es gerade am besten paßt. Gut, Schröder hat sich öffentlich dagegen ausgesprochen, den Irak anzugreifen. Aber wird er das auch durchhalten? Und man muß einen Angriffskrieg nicht zwangsläufig mit einem Angriff beginnen...

"Trotzdem kannst du mir die Politische Lage in 15 Jahren in Europa nicht erzählen... Und allein der Gedanke daß "momentan" keine Gefahr besteht, sagt letzten Endes nichts aus."

Das ist richtig. Dadurch wird die Wehrpflicht aber auch nicht sinnvoller. Es gibt mittlerweile immer mehr Männer, die überhaupt niemals Wehrdienst geleistet haben. Und selbst, wenn sie beim Bund oder sonstwo waren: Die technologische Entwicklung schreitet ja immer weiter voran, und was man vor 20 Jahren noch beim Wehrdienst gelernt hat, kann man heute oftmals kaum noch anwenden.

Ich beispielsweise habe meinen Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR und in der Bundeswehr absolviert. Ich wurde an der Kalaschnikow AKS-74 und an Funk- und Chiffrier-Technik sowjetischer Produktion ausgebildet. Nichts davon befindet sich im Bestand der Bundeswehr - ich müßte also komplett neu angelernt werden, wenn man mich im Kriegsfall als Funker zum Bund holen würde. Ich hab sogar noch Tastfunk gelernt, aber das benutzt heute zumindest beim Heer doch kaum noch jemand.

"Auch den Irak wird man letzten Endes nur mit dem entsprechenden Aufgebot an Menschen besetzen, sollte es zu einem Krieg kommen."

Vorher muß man aber die irakische Armee niederkämpfen. Was glaubst du denn, wie das im zweiten Golfkrieg gemacht wurde? Da sind die Alliierten auch nicht wie die Helden sofort mit Infanterie und Panzern einmarschiert. Die haben erstmal fleißig Raketen und Bomben draufgehauen und sich die Luftherrschaft gesichert. Als die Iraker nicht mehr wußten, wo oben und unten ist, sind erst die alliierten Bodentruppen losgezogen. Hätte man es nicht so gemacht, wären die alliierten Verluste wesentlich höher gewesen.

Natürlich wird man immer noch "Fußvolk" brauchen, das dann den letzten Widerstand bricht und das Gebiet besetzt. Aber auch Infanterie-Soldaten werden heute mit immer mehr elektronischem Gerät ausgerüstet, das beherrscht werden muß.

"1.) der Soldat muß wissen, wie man ein im Handel übliches GPS-System liest
2.) der Soldat muß wissen, wie man ein im Handel übliches Handy oder Kommunikationsgerät bedienen muß, wobei er das wählen noch nicht mal erlernen muß.
3.) Der Soldat muß weiterhin gut schießen und mit seiner Waffe umgehen könnten.
4.) der Soldat muß weiterhin gut getarnt sein.
5.) der Soldat muß weiterhin gut im Team und mit Taktik arbeiten können.
Bis auf punkt 1) und 2) bleibt praktisch alles beim alten."

Nein, eben nicht. Mittlerweile befinden sich spezielle Panzer-Anzüge in Entwicklung, und was auch immer wichtiger wird, ist zum einen Schutz vor bakteriologischen und chemischen Waffen und entsprechende Sensoren, zum anderen aber auch elektronische Kriegführung. Es gibt mittlerweile bekanntlich auch E-Bomben, die alle elektronischen Geräte im näheren Umkreis funktionsunfähig machen. Natürlich werden aber auch Geräte entwickelt, die genau das verhindern sollen usw. Da ist kein Ende abzusehen.

"Jede Waffe kann man in ein paar Tagen bedienen, auseinanderbauen und zusammenlegen - zumindest jede tragbare - und mehr wird ein Soldat nicht mit sich herumtragen, als das, was er tragen kann."

Problematisch dabei ist, daß ein Soldat in der Lage sein muß, ALLE seine Waffen und Ausrüstungsgegenstände blind und in jeder Situation zu beherrschen. In den 80er Jahren wollte die Bundeswehr ein hypermodernes Sturmgewehr mit hülsenloser Munition einführen. Das Teil wurde von Heckler & Koch entwickelt und sah von der Seite nicht mehr aus wie ein Gewehr. Es gab z.B. keinen erkennbaren Lauf und auch keinen erkennbaren Kolben, wie man das von Gewehren gewohnt ist. Man hat diese Waffe in geringer Stückzahl in der Truppe erprobt und sich letztendlich dafür entschieden, sie nicht einzuführen. Es soll nämlich vorgekommen sein, daß Soldaten sich damit (wahrscheinlich bei Nachtübungen) in die Schultern geschossen haben. Die haben das Teil tatsächlich verkehrt herum gehalten.

Und nun stell dir mal vor, man würde jetzt Männer in Massen zur Bundeswehr einziehen, ihnen hypermoderne Ausrüstung in die Hand drücken, die sie noch nie zuvor gesehen haben und sie dann nach einer kurzen Einweisung damit in den Krieg schicken. Das würde Verluste ohne Ende geben. Die Nazis haben das damals gegen Kriegsende auch nur aus Verzweiflung gemacht, weil ihnen sonst nichts mehr einfiel.

"Aber sind wir mal realistisch. Die Armutsschere zwischen Nord und Süd bewegt sich langsam wieder zusammen."

Da bin ich mir gar nicht so sicher. Sogar hier in Deutschland bewegt sie sich immer weiter auseinander.

"Kriege werden praktisch nur noch aus Ressorcen-Gründen geführt."

Das ist nur einer von vielen Gründen für Kriege. Es gibt immer noch Kriege, bei denen es vor allem um Macht geht.

"Falsch, laut Mastricht ist das Deutschland gar nicht gestattet. Hilfe begrenzt sich NUR auf: Sicherung des Friedens, Humanitäre Hilfe."

Aha. Und was machen deutsche Soldaten dann in Afghanistan? Die Kriegserklärung der Afghanen an Deutschland muß mir wohl glatt entgangen sein. Auch hier hängt wieder alles an der Definition des Begriffs "Sicherung des Friedens". Wenn nämlich die Mehrheit der NATO-Staaten der Meinung ist, daß ein Angriff auf Irak der Sicherung des Friedens dient, ist die Bundeswehr auch zur Teilnahme verpflichtet...

"Absolut ausgeschlossen. Auslandseinsätze sind immer freiwillig und werden das auch bleiben."

Noch.

"Was die Wehrpflicht und der Aufgaben angeht ist im GG verankert. Das müßte man dann erstmal ändern."

Ja, im Grundgesetz steht auch, daß niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf...

"Kein Wehrpflichtiger wird (jemals) gezwungen ins Ausland zu gehen - laut GG gar nicht machbar."

Ja, noch ist das so...

"Bisher fahren die noch freiwillig mit, aber ob das noch so ist, nachdem vielleicht mal ein deutsches Marineschiff bei einem Kampfeinsatz mit hohen Personalverlusten versenkt wird, ist fraglich..."

"Nochmal: Kampfeinsätze sind nicht erlaubt."

Ach Jens... Was soll denn z.B. die Besatzung eines deutschen Schnellbootes tun, wenn sie bei einem Einsatz wie derzeit im Indischen Ozean z.B. von einem Torpedoschnellboot oder von einem Jagdbomber angegriffen wird? Soll sie dann eine Nachricht rüberfunken wie "tut uns leid, wir dürfen nicht gegen euch kämpfen, seid doch bitte so nett und greift den US Zerstörer 10 Seemeilen südlich an" ?

"Auf alle Frauenbevorzugungen, die im Forum schon oft genug erwähnt wurden."

Na ja, die haben aber größtenteils nichts mit der Wehrpflicht zu tun.

"Aber was Wirtschaft und Wohlstand angeht, ist die CDU die besser Wahl."

Ja, wenn man reich ist. Die Besitzerin einer Luxus-Hotelkette sagte mal auf die Frage, was sie denn an Steuern zahlen würde: "Ich zahle gar keine Steuern. Nur arme Leute zahlen Steuern." Die CDU würde dazu beitragen, daß das auch in Zukunft so bleibt und noch mehr verschärft wird.

"Auch bei der Massenarbeitslosigkeit von Kohl sollte man ein bißchen vorsichtig umgehen. Die DDR war ein Schrotplatz sondersgleich - ich hatte da auch gewohnt - klar, daß es bei einem solch heruntergewirtschafteten Staat viel mehr Arbeitslose und Schulden geben würde."

Jens, Wirtschaftsfachleute schätzen, daß die Öffnung des Marktes im Osten in der westdeutschen Wirtschaft zwischen 1,4 und 1,9 Millionen Arbeitsplätze GESCHAFFEN hat! Ohne die Wiedervereinigung wäre im Westen die Krise schon früher sehr viel härter ausgefallen. Denk nur mal an die durch die Öffnung des ostdeutschen Marktes deutlich gestiegenen Absätze der Auto-Hersteller! Im Osten sind dafür natürlich entsprechend viele Leute arbeitslos geworden.

Der Prozeß der deutschen Wiedervereinigung ist katastrophal gelaufen. Das lag aber weniger daran, daß die DDR so heruntergewirtschaftet war. Tatsächlich lag die DDR in wirtschaftlicher Hinsicht auf jeden Fall hinter Großbritannien, und das nach einigen Berechnungsmethoden (es ist ja nicht einfach, so unterschiedliche Wirtschaftssysteme korrekt zu vergleichen) sogar mit sehr geringem Abstand. Es gab eine ganze Menge kapitalistische Staaten, deren Wirtschaft 1990 wesentlich schwächer war als die der DDR. Trotzdem redet da auf einmal niemand davon, daß diese Staaten total am Ende gewesen wären oder daß sie der Beweis dafür wären, daß der Kapitalismus nicht funktionieren könne. Alle diese Staaten existieren auch noch heute.

Rohwedder war eigentlich sehr kompetent und erfahren und hatte ein gutes Konzept, um die volkseigenen Betriebe der DDR in Privateigentum umzuwandeln. Leider widersprach das aber den Interessen diverser westlicher Geschäftemacher, so daß Rohwedder dann ganz zufällig ermordet und durch die inkompetente Quotenfrau Breuel ersetzt wurde. Und so begann das, was Fachleute mittlerweile als das größte Bereicherungsprogramm für Westdeutsche bezeichnen, das es jemals gegeben hat.

Auch modern ausgestattete ostdeutsche Betriebe wurden für symbolische Kaufpreise von 1 DM an westliche Unternehmen verschenkt, teilweise sogar an Immobilien-Unternehmen, bei denen von vorneherein völlig klar war, daß die nur an den Gründstücken und Gebäuden interessiert sind und nicht die Absicht haben, die Produktion weiter zu führen. Wirtschaftsfachleute haben vor der Wiedervereinigung zu verschiedenen Maßnahmen geraten, um den ostdeutschen Betrieben den Übergang zur Marktwirtschaft überhaupt erst zu ermöglichen. Nichts davon hat die Kohl-Regierung für nötig gehalten. Das hätte ja den Interessen der Großkonzerne widersprochen. Wie fatal sich das ausgewirkt hat, erkennt man, wenn man die Entwicklung in anderen ehemaligen Ostblockstaaten wie beispielsweise Polen oder der Tschechei mit der Entwicklung von Ostdeutschland seit 1990 vergleicht. Die Verwüstungen durch die verfehlte Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft waren verheerender als die Zerstörungen durch den zweiten Weltkrieg.

Wenn Rohwedder sein Konzept hätte verwirklichen können, dann hätte die Wirtschaft im Westen wesentlich weniger von der deutschen Vereinigung profitiert. Dafür wäre aber im Osten nicht soviel zerstört worden. Und es hätte deutlich weniger Folgekosten gegeben.

Fatal waren auch diverse Steuerabschreibungsmöglichkeiten, Fördermittel und ähnliche Vergünstigungen, die im Zuge der Wiedervereinigung eingeführt wurden, vor allem Großkonzernen zugute kamen und nicht nur kaum positive Effekte für die ostdeutsche Wirtschaft hatten, sondern sogar noch gewaltige Löcher in die Staatskassen gerissen haben, die nun durch Zinsen immer weiter aufklaffen.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch die Tatsache, daß die DDR 1990 auch noch eine deutlich niedrigere Staatsverschuldung hatte als die Bundesrepublik. Und zwar auch pro Kopf gerechnet! Die Staatsverschuldung ist seitdem noch weiter angestiegen, und dazu hat die Kohl-Regierung noch mehr beigetragen als jetzt die rot/grüne Regierung.

Und wie, bitteschön, kommst du nun darauf, daß eine Partei wie die CDU, die so verheerende Fehler zu verantworten hat, uns nun auf einmal aus der Krise helfen könnte?

Freundliche Grüße
von Garfield


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