Re: Verständliche Antwort, aber... (Teil 1)
Als Antwort auf: Re: Verständliche Antwort, aber... von Garfield am 10. Dezember 2002 17:01:17:
Hallo Garfield
Auch wenn ich ziemlich spaet dran bin; zu einigen Punkten moechte ich doch noch meine Meinung schreiben. Aus Platzgruenden musste ich das Posting in 2 Teile aufspalten.
Richtig. Mit der halben Welt konnte die DDR frei handeln und hat das auch getan. Die andere Hälfte der Welt verweigerte der DDR leider den freien Handel.
Ich glaube, Du siehst das mit dem freien Handel der DDR etwas verzerrt. Wie in Volkrepubliken ueblich, wurde der gesamte Aussenhandel IMHO ueber eine Aussenhandelsbank abgewickelt. Die Ostmark und andere Waehrungen von kommunistischen Laendern waren nicht frei konvertierbar (politischer Entscheid dieser Regierungen bzw. der Sowjetunion); der Handel musste somit in anderen frei konvertierbaren Waehrungen (meistens USD) abgewickelt werden. Da eine strikte Devisenbewirtschaftung in den Volksrepubliken betrieben wurde, war der Handel fuer die jeweiligen Betriebe absolut nicht frei; der Staat bestimmte ueber die Devisenbewirtschaftung, was importiert werden durfte oder nicht. Die Handelsbeschraenkungen der westlichen Staaten bezogen sich auf Exporte in kommunistische Staaten; Importe von kommunistischen Staaten waren IMHO keinen gesetzlichen Beschraenkungen unterworfen, die DDR hatte in dieser Beziehung, zumindest theoretisch, freie Hand. Obwohl zuviel Handel mit dem 'Feind aus dem Osten' von den einzelnen Regierungen der westlichen Staaten vermutlich nicht gern gesehen wurden, aehnlich war es aber auch mit den kommunistischen Regierungen.
Im Westen war der beispiellose Aufschwung in den 50er und 60er Jahren v.a. der Produktion und dem Handel von Konsumguetern zu verdanken. Konsumgueter hatten in der DDR (und in den anderen Oststaaten) aber schlichtweg keine Prioritaet; dort setzte man weiterhin auf Schwerindustrie, die Herstellung von Produktionsguetern und Dinge der Grundversorgung (z.B. Wohnungen). Dadurch hatte die DDR fuer die westlichen Staaten eben gar nicht so viele attraktive Produkte zu bieten. Ausserdem entsprach die Qualitaet dieser Produkte schon bald nicht mehr dem westlichen Standard (da den Konsumguetern in den kommunistischen Staaten nur mindere Prioritaet beigemessen wurde) bzw. die Produkte konnten von anderen Billiglohnlaendern in vergleichbarer Qualitaet aber noch billiger produziert werden (z.B. von Laendern Suedostasiens). Zudem waren die Fuenfjahresplaene der kommunistischen Staaten (die galten ja auch fuer die Produktion von Konsumguetern) viel zu unflexibel, um auf den sich immer rascher veraendernden Weltmarkt zu reagieren.
Die Mauer wurde viel zu früh geöffnet, und bekanntlich geschah das ja auch durch ein Versehen. Die westliche Seite ist dadurch allein schon deshalb unter Druck geraten, weil nun ein Massenansturm von ausreisewilligen DDR-Bürgern zu befürchten war.
Das Problem war, dass die Oeffnung der Grenze zwischen Ungarn und Oesterreich und die darauf erfolgende Flucht nicht weniger DDR-Buerger eine Eigendynamik entwickelt hatte, die weder die westlichen Staaten noch die osteuropaeischen Staaten unter Kontrolle bringen konnten. In der Folge fiel eine Regierung nach der anderen in den kommunistischen Staaten; am Jahreswechsel 1989/1990 wurde sogar die stabil erscheinende Diktatur Ceausescus in Rumaenien blutig gestuerzt. Erst jetzt wurde offenbar, wie marode die meisten kommunistischen Regierungen waren. Beguenstigt durch entsprechende westliche Propaganda glaubten offenbar viele Buerger der osteuropaeischen Laender, nun werde sofort alles besser, und es sei nur eine Frage von wenigen Jahren bis sich der (materielle) Lebensstandard auf Westniveau erhoehe; diese Illusionen wurden ziemlich schnell zerstoert.
Die Mauer gab es aber erst seit 1961. Der Westen hat schon vorher blockiert. Und wer hat denn zuerst eine eigene Währung eingeführt? Wer hat denn den ersten eigenen Staat gegründet? Das waren die Westmächte und die Bundesrepublik.
Ganz so einfach ist es nun wieder nicht. Die Situation in Deutschland nach dem Krieg war natuerlich direkt vom Verhaeltnis unter den Alliierten untereinander abhaengig und dieses verschlechterte sich nach Wegfall des gemeinsamen Feindes (das Dritte Reich) zusehends; zu gross waren die politischen und weltanschaulichen Unterschiede zwischen den westlichen Staaten und der stalinistischen Diktatur. Bereits auf der Jalta-Konferenz 1944 wurde festgelegt, wer von den Alliierten wieviel Einfluss in welchen Staaten nach dem Krieg haben sollte und dort wurde im Grunde genommen die Teilung Europas in die amerikanische und sowietische Interessensphaere beschlossen. Osteuropa wurde zum weitaus groessten Teil von sowjetischen Truppen befreit, Westeuropa von amerikanisch/britisch/franzoesischen Truppen (wovon die Amerikaner zahlenmaessig den groessten Teil ausmachten).
Wir duerfen nicht vergessen, dass mit Stalin ein ruecksichtsloser Paranoiker in der Sowjetunion an der Macht war, der durch die von ihm befohlenen Zwangskollektivierungen, Saeuberungen und Ausbeutung von Zwangsarbeitern fuer den Tod von etlichen Millionen Menschen verantwortlich war. Es ist unrealistisch, zu glauben, die komplett unterschiedlichen Systeme und Weltanschauungen der westlich gepraegten Staaten und der Sowjetunion haetten auf Dauer freundschaftlich verbunden sein koennen. Stalin selber hat das ebenfalls so gesehen und den Begriff vom 'Kalten Krieg' gepraegt.
Hätte es nämlich den Konflikt zwischen der Sowjetunion und den Westmächten nicht gegeben, dann wäre Deutschland noch viel mehr zerstückelt worden.
Ja, wahrscheinlich.
Pläne sind dafür ja bei Konferenzen der Alliierten während der Kriegszeit schon gemacht worden. Danach hätte Deutschland etwa so ausgesehen wie in der Zeit der deutschen Kleinstaaten, und man hätte sämtliche Industrie demontiert.
Ob diese kleineren Staaten wirtschaftlich und v.a. politisch ueberlebensfaehig gewesen waeren bzw. den Wiederaufbau ohne massive Wirtschaftshilfe geschafft haetten, waere fraglich gewesen. Solche Plaene haetten wahrscheinlich die Saat fuer weitere Konflikte, vielleicht sogar Krieg gelegt. Wahrscheinlich waeren ohnehin die Besatzungszonen bestehen geblieben, und die Allierten haetten in ihrer jeweiligen Zone eine Art Protektorat errichtet.
Deutschland wäre zu einem Agrarstaat ohne Industrie geworden, was bei diesen Konferenzen auch direkt so gesagt wurde. Es hätte keinen Marshallplan und kein Wirtschaftswunder gegeben.
Moeglich. Andererseits haette es ein Machtvakuum im Zentrum Europas gegeben. Dies waere ueber kurz oder lang von anderen Staaten (realistischerweise von den alliierten Staaten) aufgefuellt worden. Spaetestens dann haetten sich zwischen den Alliierten Konfliktherde gebildet.
Deutschland hätte schlimmere Einschränkungen und höhere Reparationen aufgebrummt bekommen wie nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag. Das würden wir heute noch abzahlen. Und im Gegensatz zu damals wären die Alliierten damit sogar noch im Recht gewesen, denn diesmal hatte Deutschland den Krieg ja tatsächlich begonnen.
Moeglicherweise waere es zu Reparationszahlungen auch nach dem 2. Weltkrieg gekommen. Nur haetten agrarwirtschaftlich ausgerichtete Kleinstaaten diese keinesfalls aufbringen koennen, (wahrscheinlich noch nicht einmal die Zinsen und Zinseszinsen). Bereits einige Jahre nach den Versailler Vertraegen des 1. Weltkrieges war es offensichtlich, dass die Weimarer Republik den finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen konnte; dies wurde ja nach und nach auch den Alliierten bewusst, weshalb die Reparationen sukzessive gelockert wurden. Nur war leider der wirtschaftliche Schaden, naemlich die vollstaendige Vernichtung des Mittelstandes durch die massive Inflation, bereits vollendete Tatsache. Und dieser voellig verarmte Mittelstand war mit ein wesentlicher Grund fuer den politischen Aufstieg Hitlers und seiner Partei. Die alliierten Siegermaechte haetten deshalb sehr genau ueberlegen muessen, ob sie auf solchen Reparationszahlungen nach dem 2. Weltkrieg haetten bestehen sollen, insbesondere da Japan wohl nicht zu aehnlichen Zahlungen verpflichtet worden waere (und ja auch nicht wurde).
Dieser Kelch ist an uns nur deshalb vorbei gegangen, weil schon gegen Ende des Zweiten Weltkrieges der Kalte Krieg begann und jede Seite Deutschland dann als Aufmarschgebiet und Verbündeten brauchte.
Richtig.
Und nochmal weiter gedacht: Was wäre wohl passiert, wenn es die Sowjetunion nicht gegeben hätte? Wer hätte dann die Hauptlast des Krieges gegen Deutschland getragen? Wenn die USA 1941 das Nachbarland Deutschlands gewesen wäre, dann wäre sie planmäßig bis Dezember 1941 überrollt worden. Da hätte den Amerikanern ihre industrielle Stärke gar nichts mehr genützt. Ehe die ihre Rüstungsproduktion voll auf Touren gebracht hätten, wäre schon alles zu spät gewesen. Dann würden die Nazis heute noch an ihrem tausendjährigen Reich bauen.
Jaja, die 'Was-waere-wenn'-Fragen. Nazi-Deutschland hatte bereits 1940 strategisch gesehen schwere Fehler begangen bzw. eine Niederlage erlitten:
1. der Kern des britischen Expeditionskorps konnte von der Royal Navy evakuiert werden, wodurch den Briten ihre Armee erhalten blieb. Das zurueckgebliebene Material konnte spaeter ersetzt werden; die Soldaten haetten wohl kaum innerhalb so kurzer Frist ersetzt werden koennen.
2. Hitlers Eroberung Grossbritanniens (Operation Seeloewe) scheiterte im Herbst 1940; Churchill war zu unbedingtem Widerstand bereit. Die Bombardierungen Londons und Coventrys staerkten den britischen Widerstandswillen und machten einen baldigen Waffenstillstand unwahrscheinlich.
3. die Verzettelung von deutschen Kraeften auf Nebenkriegsschauplaetzen (Balkan, Nordafrika). Insbesondere der Verlust grosser Teile der Fallschirmjaeger ueber Kreta schwaechte die deutsche Luftmacht empfindlich.
Die Spekulationen, wenn die USA Nachbarland Deutschlands gewesen waere, sind voellig muessig. Denn der nordamerikanische Kontinent mit seinen Rohstoffen haette ja trotzdem bestanden und GB mit Warenlieferungen versorgen koennen.
Die Sowjets haben diesen mörderischen Angriff, der den entwickelsten Teil ihres Territoriums verwüstet hat, vor allem deshalb überstanden, weil sie genau wie Deutschland von einem rücksichtslosen Diktator regiert wurden, der gnadenlos alle verfügbaren Kräfte gegen die Angreifer geworfen hat.
Andererseits hat der deutsche Angriff 1941 Stalin auf dem linken Fuss erwischt; eben weil er ein so ruecksichtsloser Diktator war, hatte er kurz zuvor die sowjetische Armee durch intensive Saeuberungen empfindlich geschwaecht. Ausserdem wurden die Deutschen zu Beginn der Offensive beispielsweise in der Ukraine als Befreier von der kommunistischen Diktatur begruesst; erst spaeter wurde den Menschen in diesen eroberten Laendereien bewusst, wer da ihr Land besetzt hatte. Im uebrigen: die Eroberung eines Landes ist das eine, dieses Land hernach auch zu halten und die eigene Macht konsolidieren, ist eine voellig andere Aufgabe. Es waere Deutschland IMHO sehr schwer gefallen, die eroberten Gebiete in der Sowjetunion auch zu halten. Aehnlich wie auf dem Balkan waeren deutsche Truppen in endlose Partisanenkaempfe verwickelt worden (wurden sie uebrigens waehrend der gesamten Besatzungszeit z.B. in Weissrussland auch). Der Traum vom (befriedeten) Lebensraum im Osten waere IMHO jedenfalls noch waehrend Jahrzehnten ein Traum geblieben.
In Friedenszeiten hat Stalin weit mehr Schaden als Nutzen angerichtet, aber während des Zweiten Weltkrieges war er der richtige Mann am richtigen Ort.
Ja, wahrscheinlich ist das so.
Die Westmächte haben als erste eine eigene Währung eingeführt und den ersten deutschen Staat nach 1945 gegründet. Glaubst du denn, die Bundesrepublik konnte wesentliche Dinge frei entscheiden, ohne die USA und die übrigen Siegermächte um Erlaubnis zu fragen?
Kurz nach Ende des Krieges herrschten bekanntlich Militaerverwaltungen in den einzelnen Sektoren. Und es brauchte einige Jahre um zu normalen Verhaeltnissen zurueckzukehren; die Einfuehrung einer neuen Waehrung sowie die Gruendung eines westlich sowie eines oestlich orientierten Staates waren letzten Endes die Konsequenz einer zunehmend aussichtsloseren Zusammenarbeit zwischen den westlichen Siegermaechten und der Sowjetunion; die politischen und weltanschaulichen Differenzen waren einfach zu gross. Deutschland war und blieb politisch und militaerisch von den jeweiligen Besatzungsmaechten abhaengig. Westdeutschland hatte aber gewisse Vorteile: zuerst einmal hatten die drei Westalliierten ihre Besatzungszonen zugunsten eines neuen Staates aufgegeben; letzten Endes trachtete aber trotzdem jeder dieser Staaten selber einen gewissen Einfluss aufrechtzuerhalten, die politischen Ziele sowie die Weltanschauungen von Frankreich, Grossbritannien und den USA waren zwar aehnlich aber eben nicht deckungsgleich; aus solchen Differenzen konnte die BRD durchaus gewisse Vorteile ziehen. In der Ostzone hingegen gab es nur eine politisch relevante Macht: die UdSSR; sie brauchte auf keinen anderen Buendnispartner bei der Einflussnahme auf die DDR-Fuehrung (oder die anderen kommunistischen Regierungen) Ruecksicht zu nehmen. Die USA achteten durchaus die individuellen Freiheiten der Buerger; deshalb wurden die Westdeutschen nicht derart bespitzelt, wie es unter den kommunistischen Regimes ueblich war. Die Regierung der BRD wurde laengst nicht so rigide an die Kandare genommen wie jene der DDR; Regierungswechsel waren z.B. vergleichsweise unproblematisch, es gab echte Parteien und eine echte Opposition und nicht bloss die kopfnickenden Blockparteien. Wirtschaftsbuendnisse, wie im Westen die EWG, waren im Osten unter Auschluss der UdSSR undenkbar.
Ausserdem wurde nicht gleich bei jeder Unruhe mit massiven militaerischen Mitteln eingegriffen bzw. solche angedroht (1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der CSSR, 1981 Verhaengung des Kriegsrechts in Polen um einer drohenden militaerischen Intervention der UdSSR zu entgehen). Die Qualitaet der Freiheit war nun mal im Osten und Westen unterschiedlich, da beisst die Maus keinen Faden ab. Massendemonstrationen gegen Aufruestung (wie im Westen gegen den NATO-Doppelbeschluss) waeren in den kommunistischen Staaten genauso unmoeglich gewesen wie die Studentenunruhen 1968.
Noch heute muß Schröder allen Mut zusammen nehmen, um George Bush mal zu widersprechen. Und wird dann auch noch prompt von überallher kritisiert.
Schroeder hat sich aus wahltaktischen Gruenden auch aeusserst ungeschickt verhalten; er hat ein Versprechen abgegeben, das er mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht halten kann. Viele Waehler konnten damit offenbar geblendet werden. Die Deutschen muessen sich jedoch bewusst sein, die BRD ist Mitglied der NATO und kann sich damit nicht einfach seinen Buendnisverpflichtungen entziehen. Nirgends in Europa, auch nicht im amerikakritischen Frankreich, wurde diese kategorische Ablehnung gut aufgenommen. Und ich glaube im uebrigen nicht, dass Schroeder das Format aufweist, auf seiner ablehnenden Haltung zu beharren.
Die USA versuchen immer noch, ganz Europa unter ihrer Kontrolle zu halten. Was meinst du wohl, wieso die Amerikaner damals im Kosovo-Krieg so schnell mit Bombardierungen waren? Da ging es nicht um Menschenrechte, und es ging noch nicht einmal um Milosevic oder irgendeinen anderen Kriegstreiber dort. Es ging u.a. darum, der EU zusätzliche Kosten durch nötige Hilfen für Ex-Jugoslawien aufzubrummen und sie so zu disziplinieren.
Den groessten Teil der Zerstoerungen in Ex-Jugoslawien wurde nicht durch die Amerikaner verursacht sondern durch den vorherigen Buergerkrieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina (z.B. Beschiessung von Sarajevo und Dubrovnik). Unter Clinton versuchten die Amerikaner sich ja laengere Zeit ueberhaupt herauszuhalten, denn gerade der Balkan liegt nicht in ihrem primaeren strategischen Interesse. Wozu auch? Es gibt fuer die Amerikaner dort nichts zu gewinnen.
Es war vielmehr die EU, in deren Interesse eine Befriedung des Balkans lag (und liegt), die in den Kriegen in Kroatien und Bosnien weitgehend erfolglos versuchte zig Waffenstillstaende zu vereinbaren; kein einziger unter Druck der EU zustandegekommene Waffenstillstand wurde eingehalten. Erst als die USA und die damit einhergehende politische und militaerische Macht einen Waffenstillstand diktierten, hielt der auch. Kurz und schlecht: die Ordnungspolitik der EU auf dem Balkan war ein vollkommenes Desaster. Ob der Kosovo-Krieg tatsaechlich notwendig war, das ist sehr schwer abzuschaetzen: einerseits war die Menschenrechtslage eben wirklich sehr schlecht vor dem NATO-Angriff, andererseits verschlechterte sie sich nach dem Angriff noch mehr. Ueber die Motive der USA mache ich mir genauso wenig Illusionen wie Du. Denen geht es (ebenso auch der EU) nicht so sehr um Menschenrechte sondern vielmehr um eine politisch stabile Region. Wie ja auch das Stillhalten sowohl von EU (insbesondere des deutschen Bundeskanzlers) als auch der USA im Falle der massiven Menschenrechtsverletzungen Russlands in Tschetschenien zeigt, damit die Stabilitaet Russlands nicht gefaehrdet wird.
Die USA versuchen heute in größerem Maßstab mit Europa dieselbe Nummer abzuziehen die früher die Bundesrepublik mit der DDR abgezogen hat. Nur mit dem Unterschied, daß die Differenzen weniger ideologischer, dafür aber mehr wirtschaftlicher Natur sind.
Im Gegenteil, die meisten europaeischen Staaten haben Schiss davor, dass sich die USA unter Bush verstaerkt Asien zuwenden koennte. Gerade die republikanischen Regierungen der USA haben sich nie durch besonderes Interesse an Europa hervorgetan. Deshalb waren ja auch die meisten europaeischen Regierungen enttaeuscht, dass nicht die Demokraten den Praesidenten stellten.
Die politische Bedeutungslosigkeit der EU ist weitgehend selbstgemacht. Eine Aussenpolitik, die die EU als Einheit gegenueber der restlichen Welt praesentieren wuerde, fehlt noch weitgehend. Die militaerische Macht wurde in den letzten 20 Jahren immer mehr abgebaut bzw. die grossen EU-Staaten gerieten waffentechnologisch und v.a. vom Personalbestand bei den kombattanten Truppen weitgehend ins Hintertreffen; nicht zuletzt die USA selber haben die europaeischen Staaten immer wieder dessentwegen gemahnt. Es ist zwar bitter, aber politische Macht stuetzt sich auch heute noch immer auf militaerische Macht, wie die USA exemplarisch immer wieder beweisen. Alleine Frankreich versuchte eine von den Amerikanern unabhaengige Politik zu verfolgen und hat es teilweise auch geschafft. Nicht zuletzt Schroeder hat mit seiner kategorischen Ablehnung einer Irak-Intervention dem franzoesischen dritten Weg eine Niederlage bereitet, was vom Elysée denn auch mit verwundertem Kopfschuetteln registriert wurde. Waehrend unter Kohl und Mitterrand eine recht intensive deutsch-franzoesische Zusammenarbeit gepflegt wurde, ist seit der sozialdemokratisch/gruenen Machtuebernahme in Berlin Schluss damit. Wenn man die eigene Unzulaenglichkeit und Unfaehigkeit im eigenen Machtbereich nicht sehen will, macht man halt kurzerhand einen boesen Feind dafuer verantwortlich. Waehrend frueher dieser boese Feind angeblich im Osten lauerte, scheint er heute ennet dem grossen Teich beheimatet zu sein. Die Europaeer (insbesondere die BRD) bekommen jetzt ganz einfach die Quittung dafuer, dass sie allzu lange am Rockzipfel Amerikas gehangen und keine eigene kohaerente Politik verfolgt haben; die Moeglichkeit dazu hatten sie durchaus, wie Frankreichs Sonderweg zeigt, allein der politische Wille zur echten Emanzipation von den USA fehlte. Jetzt kommt die pubertaere Trotzreaktion auf alles, was die USA tun. Nur: die EU kann keinerlei Alternativen bieten und haette ohnehin nicht die politische oder militaerische Macht eine solche durchzusetzen; sie beharrt somit meist darauf, gar nichts zu tun und hehre Worte und gut gemeinte Ratschlaege auch an die uebelsten Regimes bzw. deren Opfer zu richten. Das faellt natuerlich jedem drittklassigen Diktator sofort auf, er braucht sich keinerlei Sorgen zu machen, wenn die Europaeer drohen; das ist nur hilfloses Saebelgerassel. Wenn jedoch die USA drohen, dann bewegt sich tatsaechlich was. Denn jedermann weiss, Praesident Bush (bzw. auch sein Vorgaenger Clinton) meint es ernst.
Im übrigen waren führende Politiker und Geheimdienstleute in der Sowjetunion in den 50er Jahren zeitweise tatsächlich bereit, eine deutsche Wiedervereinigung zu akzeptieren. Dann kam aber der Aufstand von 17. Juni, und damit gewannen die Hardliner in Moskau die Oberhand. So hat dieser Aufstand in Ostdeutschland paradoxerweise vielleicht eine viel frühere deutsche Wiedervereinigung verhindert.
Reine Spekulation. Nach Stalins Tod kam es zu einem Machtvakuum, da der verstorbene Diktator recht gruendlich unter seinen politischen Rivalen gewuetet hatte. Er duldete niemanden neben sich. Ob eine solche Wiedervereinigung in dieser vergleichsweise kurzen Zeit des Machtvakuums haette vollzogen werden koennen, halte ich fuer aeusserst zweifelhaft.
Als dann aber die Kalte Krieg immer kälter wurde, blockierten die Westmächte und später die Bundesrepublik zunehmend.
Wir erinnern uns der Berlin-Blockade durch die Sowjetunion und die Rosinenbomber der Westalliierten. Da stellt sich die Frage, wer wen blockierte. Dass die osteuropaeischen Staaten, unter dem Druck der Sowjetunion, die Hilfe des Mashallplanes ablehnen mussten, ist ein weiteres Detail, welches auf Blockadedenken seitens der oestlichen Siegermacht hindeutet.
Nein, aber sie und die übrigen führenden westlichen Staaten waren ein ganz wesentlicher Grund dafür, daß die DDR wirtschaftlich eben nicht so viel erreichte wie die Bundesrepublik. Natürlich hat auch der Stalinismus dazu beigetragen aber das war definitiv längst nicht der einzige Grund.
Ein besonders wichtiger Punkt fuer den Wiederaufbau war der Marshallplan. Die Sowjetunion hatte nicht annaehernd die Mittel, um etwas aehnliches in ihrem Einflussbereich auf die Beine zu stellen. Es ist natuerlich naiv, zu glauben, die USA haetten dabei aus altruistischen Motiven gehandelt. Neben dem Aufbau einer antikommunistischen politischen Front in Westeuropa waren selbstverstaendlich auch wirtschaftliche Erwaegungen (potente Absatzmaerkte) massgebend.
"Schließlich hatte somit auch die BRD einen potentiellen Absatzmarktverloren: die DDR."
Dafür bekam die westdeutsche Wirtschaft aber umso mehr neue Märkte hinzu.
Ja, die spaetere EWG und EFTA. Natuerlich hat (zumindest theoretisch) auch die DDR neue Maerkte erreicht, naemlich die Laender des COMECON. Der Charakter dieser Wirtschaftsvereinigung war jedoch ein anderer als der der EWG.
Ausserdem gab es natuerlich schon vor dem Krieg Handel zwischen Deutschland und den spaeteren EWG- und EFTA-Laendern. Insofern stimmt die Behauptung mit den neuen Maerkten im Westen nur bedingt. Allerdings war der internationale Handel waehrend der Zwischenkriegszeit durch starke Schutzzoelle gekennzeichnet sowie durch gesicherte Absatzgebiete in den jeweils eigenen Kolonien (letzteres betraf natuerlich nicht die Weimarer Republik).
Es GAB ein Handelsembargo der westlichen Staaten für bestimmte Produkte wie z.B. Computer und überhaupt mikroelektronische Produkte.
Richtig. Dabei handelte es jedoch lediglich um den Export in kommunistische Staaten. Der Import aus den kommunistischen Staaten wurde durch die westlichen Regierungen kaum behindert. Du siehst da leider nur eine Seite. Der Import in kommunistische Staaten wurde durch das System der Devisenbewirtschaftung bzw. der fehlenden Konvertibilitaet der kommunistischen Waehrungen durch die jeweiligen Regierungen sowie mannigfaltige buerokratische Hindernisse noch weiter erschwert.
"Nur sind deren Waren im "Intershop" verkauft worden und durch die geringe Kaufkraft des Alu-Geldes mußt man halt 5 Jahre auf einen Farbfernseher sparen - oder so ähnlich."
Das mit der geringen Kaufkraft ist relativ zu sehen. Bezogen auf Lebensmittel beispielsweise war die Kaufkraft der Ost-Mark größer als die der DM.
Richtig. Dasselbe gilt IMHO auch in Bezug auf die medizinische Versorgung. Allerdings war das Lebensmittelangebot in den meisten Ostblockstaaten nicht annaehernd so reichhaltig wie im Westen. Ich muss aber zugeben, dass ich nie in der DDR war und deshalb die dortigen Verhaeltnisse nicht genuegend kenne.
Daß die Mark der DDR international nicht akzeptiert wurde, hing auch damit zusammen, daß die DDR eben zum Ostblock gehörte und natürlich auch damit, daß sie wirtschaftlich nun einmal aus den in den vorherigen Beiträgen genannten Gründen nie so stark sein konnte wie die Bundesrepublik.
Die Nichtkonvertibilitaet der diversen Ostwaehrungen war keineswegs durch die mangelnde Konkurrenzfaehigkeit der DDR bzw. der anderen Staaten begruendet; dabei handelte es sich vielmehr ausschliesslich um einen politischen Entscheid, der aufgrund der in der Sowjetunion herrschenden Wirtschaftsdoktrin gefaellt wurde.
Da biß sich die Katze dann in den Schwanz. Weil die DDR wirtschaftlicher weniger stark war, war ihre Währung weniger wert und weil ihre Währung weniger wert war, war sie wirtschaftlich nicht so stark...
Sofern freie Konvertibilitaet geherrscht haette, waere die obige Behauptung (wenigstens teilweise) korrekt. Daneben war halt auch der fehlende freie Kapital- und Warenverkehr von und zum Westen schuld. Der Weltmarkt wurde (und wird) keineswegs von den USA oder ihren westlichen Verbuendeten kontrolliert. Die kommunistischen Staaten haben sich jedoch aus ideologischen Gruenden selber weitgehend den freien Zugang zum internationalen Markt (auch zum Kapitalmarkt) verbaut. Historisch gesehen herrschte in der sowjetischen Wirtschaft ein starkes Beduerfnis nach Autarkie; es wurde als Ideal angesehen, vom Weltmarkt moeglichst unabhaengig zu sein.
Jetzt stell dir mal vor, ein großer Teil der Bevölkerung würde jetzt eine gerechtere Gesellschaft in der Bundesrepublik aufbauen wollen. Glaubst du ernsthaft, man könnte das ohne Widerstand seitens der Mächtigen im Lande einfach so tun?
Nein, das koennte man nicht. Aber wahrscheinlich wuerde spaetestens bei der Diskussion darueber, welcher Weg zum Ziel des Aufbaus einer gerechteren Gesellschaft zu verfolgen sei, die Mehrheit wieder auseinanderfallen.
Auch in der Bundesrepublik hat es Berufsverbote gegeben, für Menschen, die eine Ideologie vertraten, die den Mächtigen im Lande nicht genehm war und ist.
Ja, auch in der Schweiz sind mir solche Faelle bekannt.
Nein, es gab in der SED viele Funktionäre, die für Reformen eintraten. Honecker war einfach ein verkalkter Greis, der völlig den Bezug zur Realität verloren hatte.
Aber er hatte letzten Endes die Macht und uebte sie auch aus; offensichtlich konnte er nicht so ohne weiteres abgewaehlt werden, und die reformfreudigen Funktionaere hatten nicht genuegend Macht, ihn abzusetzen.
[Perestroika und Glasnost]
Es war nicht so, daß die Sowjetunion Honecker an Reformen hinderte. Honecker hat sich geweigert, Reformen durchzuführen, obwohl Gorbatschow ihm bedeutet hat, daß er das tun sollte.
Das ist richtig. Ob jedoch die Reformen genutzt haetten, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin ist auch Gorbatschow mit seiner Politik letztendlich gescheitert.
Jens, auch in den führenden westlichen Staaten werden Wirtschaftspläne aufgestellt, und Frankreich und Japan haben dafür sogar eigene Behörden! Das ist kein Merkmal sozialistischer Staaten!
Das ist schon richtig. Aber weder in Frankreich noch in Japan noch in irgendeinem sonstigen westlichen Staat wurde der Aussenhandel derart politisch kontrolliert. Es wurden auch nie Produktionsquoten von staatlicher Seite bis in die untersten Chargen aufgestellt. Den privaten Firmen wurden nicht die Produktions- und Marketingstrategien von staatlicher Seite aufgedrueckt. Du verkennst hier vollkommen die verschiedenen Dimensionen und unterschiedlichen Zielsetzungen der Planungsstaebe im Osten und Westen sowie deren Einflussmoeglichkeiten. Der buerokratische Wasserkopf punkto Wirtschaftsplanung war in den kommunistischen Laendern wirklich gewaltig, ebenso deren Macht.
"Nicht ganz. Nur muß man sich die entsprechende Branche richtig aussuchen. Natürlich gehört auch etwas Glück dazu!"
Und Geld, Jens. Das IST so.
Richtig. Es arbeitet ja schliesslich niemand gratis...
[Minensuchgeraet]
Da der Markt für solche Maschinen aber durch große Unternehmen beherrscht wird, hat dieser Erfinder mit seiner Maschine keine Chance. Niemand nimmt sie ihm ab und die positiven Testergebnisse interessieren auch niemanden.
Das ist in der Tat ein Problem. Aber es handelt sich in diesem konkreten Fall eben nicht mehr um einen freien Markt.
Ende Teil 1
Gruss
Maesi
gesamter Thread:
- Zieht ins saarland und wählt SPD ;-) -
Quixote,
01.12.2002, 12:41
- Wenn das der einzige Grund wäre.... -
Jens,
01.12.2002, 22:28
- Re: Wenn das der einzige Grund wäre.... -
Garfield,
02.12.2002, 16:32
- Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
02.12.2002, 23:05
- Re: Verständliche Antwort, aber... - Manfred, 03.12.2002, 00:58
- Re: Verständliche Antwort, aber... - Moritz, 03.12.2002, 10:08
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
03.12.2002, 16:23
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
03.12.2002, 18:54
- off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Markus,
03.12.2002, 20:18
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Odin,
04.12.2002, 01:01
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Odin,
04.12.2002, 01:41
- Träum weiter! -
Jens,
04.12.2002, 03:35
- Re: Träum weiter! -
Odin,
04.12.2002, 23:15
- Re: Träum weiter! - Jens, 05.12.2002, 01:32
- Re: Träum weiter! -
Odin,
04.12.2002, 23:15
- Träum weiter! -
Jens,
04.12.2002, 03:35
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
04.12.2002, 03:34
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Odin,
04.12.2002, 23:21
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Markus,
04.12.2002, 23:52
- Falsch! -
Jens,
05.12.2002, 01:46
- Re: Falsch! - Markus, 05.12.2002, 02:06
- Falsch! -
Jens,
05.12.2002, 01:46
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... - Jens, 05.12.2002, 01:44
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Markus,
04.12.2002, 23:52
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Odin,
04.12.2002, 23:21
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Odin,
04.12.2002, 01:41
- Re: off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Odin,
04.12.2002, 01:01
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
04.12.2002, 16:09
- Korrektur - Garfield, 04.12.2002, 19:09
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
jens,
05.12.2002, 08:00
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
05.12.2002, 13:56
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
09.12.2002, 18:37
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
10.12.2002, 19:01
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jörg,
10.12.2002, 19:11
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
11.12.2002, 10:54
- Re: Verständliche Antwort, aber... - Ferdi, 11.12.2002, 11:59
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
11.12.2002, 10:54
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Dieter,
10.12.2002, 19:26
- Re: Verständliche Antwort, aber... - Garfield, 11.12.2002, 10:46
- Sehr informativ. Klasse! (n/t) -
Makus,
11.12.2002, 01:03
- Re: Da kann ich mich nur anschliessen :-) (n/t) - Jolanda, 11.12.2002, 02:11
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
11.12.2002, 21:52
- Re: Verständliche Antwort, aber... - Garfield, 13.12.2002, 16:00
- Re: Verständliche Antwort, aber... (Teil 1) - Maesi, 27.12.2002, 21:03
- Re: Verständliche Antwort, aber... (Teil 2) - Maesi, 27.12.2002, 21:17
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jörg,
10.12.2002, 19:11
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
10.12.2002, 19:01
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
09.12.2002, 18:37
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Garfield,
05.12.2002, 13:56
- off topic Re: Verständliche Antwort, aber... -
Markus,
03.12.2002, 20:18
- Re: Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
03.12.2002, 18:54
- Verständliche Antwort, aber... -
Jens,
02.12.2002, 23:05
- Re: Wenn das der einzige Grund wäre.... -
Garfield,
02.12.2002, 16:32
- Wenn das der einzige Grund wäre.... -
Jens,
01.12.2002, 22:28