Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Verständliche Antwort, aber...

Garfield, Thursday, 05.12.2002, 13:56 (vor 8014 Tagen) @ jens

Als Antwort auf: Re: Verständliche Antwort, aber... von jens am 05. Dezember 2002 06:00:24:

Hallo Jens!

"...sondern auch durch die Ideologie des Regimes, die freien und ungezwungenen Handel mit - in deren Augen - "kapitalistischen" Feind-Ländern verboten hatte und gar nicht eingehen konnte."

Da verstehe ich jetzt nicht so ganz, worauf sich das bezieht. Klar, die DDR-Ideologie war ziemlich verbohrt, aber zu Adenauers Zeiten beruhte das voll auf Gegenseitigkeit. Damals haben immer noch viele westliche Konzerne gehofft, ihre enteigneten Betriebe im Osten vielleicht doch noch wieder zurück zu bekommen. Deshalb übten sie Druck auf die Bundesregierung auf, die dann alles dafür tat, um der DDR Steine in den Weg zu legen. Es hat ja allein schon ewig gedauert, bis die Bundesregierung bereit war, die DDR überhaupt offiziell als eigenständigen Staat anzuerkennen.

Von einem Handelsverbot in Bezug auf kapitalistische Staaten ist mir nichts bekannt. Ganz im Gegenteil: Noch vor Gründung der beiden deutschen Staaten haben die Siegermächte auch die Handelsbziehungen zwischen den Besatzungszonen vertraglich geregelt. Problematisch war ja, daß ein vormals zusammengehöriger Wirtschaftsraum auseinander gerissen wurde. Mitteldeutschland hat bis Kriegsende beispielsweise Rohstoffe wie Eisenerz oder Steinkohle vorwiegend aus Schlesien bezogen. Daher kam jetzt gar nichts mehr. Also wurde vereinbart, daß die Westzonen nun eben diese und andere Rohstoffe an die Ostzone liefern. Es gab in Mitteldeutschland auch keine Walzwerke und ähnliches. Also sollten auch Walzprodukte vom Westen an den Osten geliefert werden. Da Mitteldeutschland keinen größeren Hafen hatte, sollte der Hochsee-Handel der Ostzone über den Hamburger Hafen abgewickelt werden. Umgekehrt sollte die Ostzone bestimmte Industrieerzeugnisse an die Westzonen liefern.

Nach Gründung der beiden deutschen Staaten blieben diese Verträge gültig, aber weil sich der Ost-West-Konflikt immer weiter verschärfte, hielt die Bundesrepublik diese Verträge immer weniger ein. Denn sie war davon ja weniger abhängig als die DDR. Fabriken für Produktionsbereiche, die es anfangs im Westen nicht oder nur in geringem Umfang gab, hatte man mittlerweile gebaut. Die DDR konnte jedoch Rohstoffvorkommen nicht so einfach bauen.

Da nun seitens der Bundesrepublik zunehmend blockiert wurde, blieb der DDR nichts anderes übrig, als zu versuchen, sich in so vielen Bereichen wie möglich unabhängig zu machen. So wurde dann in Rostock ein großer Überseehafen gebaut und an der Grenze zu Polen auch das Eisenhüttenkombinat Ost, um das herum eine ganze Stadt aus dem Boden gestampft wurde.

Die DDR hat jedoch die Handelsbeziehungen zur Bundesrepublik und zu anderen westlichen Staaten nie abgebrochen. Zeitweise wurde auch Öl an die Bundesrepublik verkauft. Dieses Öl hat die DDR aus der Sowjetunion bezogen. Dafür waren Festpreise vereinbart worden, und als der Ölpreis aber stieg, nutzte die DDR das aus und verkaufte eben einen Teil dieses Öls mit Gewinn an die Bundesrepublik. Das hat zeitweise die zusätzlichen Belastungen für die DDR ein wenig ausgeglichen.

"Der sogenannte "Friedensschutzwall" mußte auch für wirtschaftliche Beziehungen gelten - alles andere wäre schließlich Verrat eigener Ideale gewesen."

Problematisch dabei war nur die Tatsache, daß lebensnotwendige Dinge wie z.B. Lebensmittel oder auch Kinderbekleidung in der DDR hoch subventioniert wurden. So waren sie wesentlich billiger als in der Bundesrepublik und wurden insbesondere in Berlin massenweise von Bundesbürgern oder auch von westlichen Besatzungssoldaten, die sich ja in ganz Berlin frei bewegen konnten, abgekauft.

"Hinzukommt, daß durch den Gegenpart BRD man auch keine vernünftigen Reformen durchführen konnte, so daß das Brötchen trotz Produktionspreis von sieben Pf. fünf Pfennig nicht überschreiten durfte. Jede Reform in dieser Hinsicht wäre ein Angleich an die BRD, was das damalige System in Frage gestellt hätte."

Das ist richtig. Das lag aber nicht im System begründet, sondern eher in der Sturheit und den weltfremden Ansichten Honeckers. Ich weiß nicht - vielleicht befürchtete er auch einfach Unruhen für den Fall, daß die Lebensmittelpreise erhöht werden. Fakt ist jedenfalls, daß ostdeutsche Wirtschaftsexperten, darunter auch hochrangige SED-Funktionäre, versucht haben, die Subventionen zu senken und die Preise so den tatsächlichen Herstellungskosten anzugleichen. Gleichzeitig wollte man auch die Löhne und Gehälter erhöhen. Problematisch war, daß die Preise für subventionierte Güter in der DDR zum Teil dem Niveau von 1936 oder 1944 entsprachen. Die tatsächlichen Produktionskosten stiegen aber teilweise an, so daß die Belastung der Staatskasse durch diese Subventionen immer höher wurde.

Honecker hat sich leider immer wieder geweigert, da die nötigen Korrekturen durchzuführen. Und so kam es, daß jemand theoretisch einen Eimer Kirschen an eine Kaufhalle verkaufen, danach denselben Eimer in dieser Kaufhalle zum halben Preise zurückkaufen und ihn dann wieder zum doppelten Preis an die Kaufhalle verkaufen konnte... Praktisch funktionierte das natürlich nicht, da der Eimer dann nicht komplett verkauft wurde. Wenn sich aber mehrere Leute zusammen getan und dann allesamt Kirschen gekauft hätten, dann hätte das funktionieren können. Und das war volkswirtschaftlich gesehen natürlich absolut schwachsinnig.

Das war aber auch kein Mißstand, den man als typisch für das sozialistische System bezeichnen kann. Auch im Kapitalismus passieren Dinge, die volkswirtschaftlich absolut unsinnig sind, wie z.B. die Vernichtung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, nur um die Preise hoch zu halten.

"Daß nun bei der Privatisierung der DDR-Firmen Fehler aufgetreten sind, bestreitet niemand. Die Frage die letzten Endes bleibt: wer hätte es besser gemacht..."

Es hat schon im Vorfeld der deutschen Vereinigung jede Menge sinnvolle Vorschläge von Wirtschaftsexperten in Ost und West gegeben. Die wurden zum großen Teil komplett ignoriert. Es ging immer nur um die Interessen westlicher Konzerne.

"Was wäre außerdem passiert, wenn viele Firmen wirklich aufrecht erhalten worden wären?"

Natürlich hätte man nicht alles erhalten können. Wie schon im letzten Beitrag geschrieben, war die DDR ja teilweise tatsächlich gezwungen, unwirtschaftlich zu produzieren. Diese Produktionsbereiche wären allesamt nicht zu halten gewesen.

Aber da gab es doch z.B. dieses ostdeutsche Werk, das Kühlschränke produzierte. FORON hieß es, soweit ich mich jetzt erinnere. Die haben den ersten FCKW-freien Kühlschrank auf den Markt gebracht. Die hatten somit ein Produkt, das sehr wohl konkurrenzfähig war. Aber gerade deshalb mußte diese Konkurrenz weg und wurde dann auch schnell platt gemacht.

Oder Fernseher von RFT. Ich hatte auch so ein Teil (das steht immer noch bei meinen Eltern und funktioniert). Der war wirklich gut. Er hatte ein sehr scharfes Bild, eingebauten Satelliten-Empfänger usw. Trotzdem mußte die Produktion bei RFT bald eingestellt werden.

Oft war es wirklich so, daß westliche Konzerne dafür sorgten, daß diese Konkurrenz vom Markt verschwand. Im Buchhandel sieht man das immer noch sehr deutlich. In der DDR gab es viele Verlage, denn weil Bücher sehr billig waren, wurde auch viel gelesen. Nach der Wiedervereinigung blieben viele dieser Verlage bestehen und versuchten ihr Glück in der Marktwirtschaft. Dabei stellten sie dann aber häufig fest, daß sie bei großen Buchhändlern kaum Chancen hatten. Die nahmen ihnen einfach grundsätzlich nichts ab. Sie konnten ihre Bücher dann nur über kleine Händler verkaufen, aber der Markt wird eben von den großen Buchhändlern dominiert, die überall in Deutschland Filialen haben.

Oder Zigaretten: Die ostdeutsche Zigaretten-Marke F6 gibt es immer noch. Ist dir schonmal aufgefallen, daß die im Westen nirgends verkauft wird? Das liegt nicht daran, daß sie dort niemand haben will. Es liegt daran, daß es tatsächlich einen Vertrag gibt, der dem Hersteller verbietet, diese Zigaretten in den westlichen Bundesländern zu verkaufen. Das ist der real existierende Kapitalismus.

Hinter den ostdeutschen Betrieben standen eben 1990 keine großen Konzerne, die über ihre Lobbies in der Politik und über ihre Macht in der Wirtschaft dafür hätten sorgen können, daß ihnen der Weg in die Marktwirtschaft so frei wie möglich gemacht wird. Deshalb hätte die Politik diese Aufgabe übernehmen müssen. Wirtschaftsfachleute haben z.B. eine befristete Sondersteuer für in die neuen Bundesländer importierte Produkte vorgeschlagen. Weil ja zu erwarten war, daß die DDR-Bürger erstmal massenweise westliche Produkte kaufen, was die Situation für die ostdeutsche Wirtschaft verschärfen würde. Genauso ist es dann ja auch gekommen, und die Bundesregierung hat nichts dagegen unternommen. Das hätte ja den Interessen der westlichen Wirtschaft widersprochen, die die neuen Bundesländer erst einmal vor allem als neuen Absatz-Markt sah.

"Ich bin mir sicher, daß wir heute in bezug auf Arbeitslosigkeit genau da stehen würden, wo wir gestanden hätten, wenn die Firmen weitergelaufen wären."

Nein, definitiv nicht. Natürlich hätte es so oder so im Osten Arbeitslose gegeben. Aber man hätte das in Grenzen halten können.

Es ist klar, daß so ein Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft nicht ohne Verluste erfolgen kann. Aber es wurden definitiv viele Betriebe, die in der Marktwirtschaft sehr wohl eine Chance gehabt hätten, ganz bewußt und mit voller Absicht platt gemacht.

So rückständig war die DDR-Wirtschaft nämlich nicht. Nehmen wir mal den Trabi: Das war natürlich ein reichlich urzeitliches Gefährt. Es hat aber bereits in den 70er Jahren Entwürfe für Nachfolgemodelle gegeben, die auch von der Optik her wesentlich moderner waren und noch im heutigen Straßenverkehr gar nicht auffallen würden. Diese Autos hätte man auch gern gebaut - nur hat die SED-Führung das immer verboten. Man wollte immer möglichst hohe Produktionszahlen, und wenn man aber ein völlig neues Modell eingeführt hätte, wären die Produktionszahlen durch den dafür nötigen Übergang zeitweilig deutlich gesunken. Das wollte man vermeiden, und deshalb wurde immer angeordnet, daß möglichst viele Teile der existierenden Modelle für neue Modelle verwendet werden müssen. Nur deshalb wurde der Trabbi noch bis zum Ende der DDR weiter gebaut. Sogar als man dann den VW-Motor in Lizenz baute und ihn auch für die letzten Trabis verwendete, blieb die Karosserie im wesentlichen dieselbe.

"Ohne die Möglichkeit des Testens wäre das Risiko zu Groß. Vielmehr Firmen würden pleite gehen. Ich kann daran nichts schlechte erkennen - auch wenn diese Firmen dadurch weniger Steuern zahlen - allein wenn man bedenkt, wie kostenaufwendig ein Produkt, einschließlich jahrelanger Forschung, Mitarbeitergehältern etc. ist."

Dagegen habe ich ja auch gar nichts. Ich hatte das nur als Beispiel erwähnt. Häufig wird das eher so gehandhabt, daß man einzelne Produktionsbereiche ganz bewußt mit Verlust arbeiten läßt. Das tut man z.B., wenn man das dort hergestellte Produkt zwar braucht, andererseits aber die nötigen Investitionen scheut, um die Produktion effektiver zu gestalten. Dann läßt man sie einfach uneffektiv weiter laufen und kann das dann als Verlust abbuchen.

Noch häufiger baut man allerdings ein Netz aus diversen Schein-Firmen auf, die man dann auf dem Papier untereinander mit Verlust wirtschaften läßt. Die Verluste sind dann nicht wirklich da, können aber für das Finanzamt trotzdem nachgewiesen werden. Aus diesem Grunde wollte z.B. mal jemand eine Bananenplantage auf Rügen bauen...

"Was deine Abgesenkte Straße angeht: tja das ist wirklich bedauerlich - der Kapitalismus ist aber nicht daran schuld."

Nein, so meinte ich das auch nicht.

"Und die Aussage: in der DDR wäre das nie passiert ist Blödsinn."

Jens, das IST dort zu DDR-Zeiten nie passiert! Ich meinte das einfach so: Es mag ja nun schön aussehen, wenn es in vielen ostdeutschen Dörfern heute gut ausgebaute Gehwege, Verkehrsampeln usw. gibt. Aber ist das wirklich wichtig? Ist das wirklich ein Anzeichen für Fortschritt? Ist das ein Merkmal, an dem man festmachen kann, daß es im Osten vorwärts gegangen ist? Oder ist das nicht eher ein überflüssiger Luxus, den wir uns ohnehin nicht mehr lange leisten können?

"In der DDR hat man 15 Jahr auf ein Auto warten müssen oder 1 Jahr auf eine Badewanne."

Ja, aber trotzdem gab es in der DDR pro Kopf mehr Autos und mehr Badewannen als in vielen kapitalistischen Staaten! DAS ist nämlich der wesentliche Punkt.

"In der DDR wurden kaum Straßen ausgebessert, riesen Schlaglöcher auf der Autobahn etc."

Ja, aber sieh dir doch nur mal heute einige Straßen in Deutschland an! Nur ein Teil der Gelder, die Autofahrer über diverse Steuern zahlen, wird für den Straßenbau ausgegeben, mit dem Ergebnis, daß wir uns den Verhältnissen in der DDR immer mehr annähern.

"Und was bringt es schon, wenn reichlich Wasser vorhanden ist, wenn das Grundwasser mit den Fäkalien von Millionen Menschen eingereichert wurde - nicht umsonst wurden diese Gruben auch Sickergruben genannt."

Also, Rostock beispielsweise hat Wasser aus der Warnow bezogen. Die Warnow war entsprechend auch schon zu DDR-Zeiten Trinkwasserschutzgebiet. Und das Wasser wurde natürlich erstmal gereinigt, bevor man es in die Leitungen pumpte. In manchen Dörfern gab es allerdings Brunnen, die das Trinkwasser aus der Erde holten.

Der Inhalt der Klärgruben wurde regelmäßig geleert. Das geschah in der Regel durch Güllefahrzeuge der LPGn, die die Fäkalien dann auf den Feldern verstreuten. Bauern tun genau das heute auch noch, allerdings nur mit tierischen Fäkalien. Seit Jahrtausenden wird der Boden so gedüngt.

Die Belastung durch chemische Reinigungsmittel war in der DDR nicht so hoch, weil es davon nicht so viele gab. So konnte man das damals durchaus so machen.

Und glaubst du ernsthaft, daß die Abwasserleitungen heute überall 100%ig dicht sind? Da sickert auch einiges ins Grundwasser hinein.

"Und ganz zu schweigen davon, daß gegen Ende der DDR sogar schon Toilettenschüsseln aus den öffentlichen Klos geklaut wurde, weil die Planwirtschaft nicht hinterherkam."

Davon hab ich noch nichts gehört. Meine Oma hatte allerdings noch ein Plumpsklo. Das war aber ihre eigene Entscheidung, weil das Haus ihr gehörte.

"Die Müllabfuhr kam auch nicht mehr wöchentlich."

In meinem Heimatdorf (bei Rostock) kam sie auch gegen Ende der DDR-Zeit immer noch regelmäßig.

"Aber es gab ja auch keine Arbeitslosen und zwar weder unfreiwillige noch freiwillige, auch wenn einer den ganzen Tag ein Treppe mit 5 Stufen geputzt hat bzw. putzen mußte"

Also, so extrem war es dann doch nicht. Putz-Jobs waren auch in der DDR zumeist Teilzeit-Stellen.

"das Recht auf Arbeit durfte in keinster Weise ja verletzt werden"

Ist das so schlimm? Was ist das kleinere Übel: Die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen und dabei hinzunehmen, daß der einzelne dann weniger produktiv ist oder alle Arbeiter und Angestellten ohne Rücksicht auf gesundheitliche Verluste zur höchsten Produktivität anzutreiben und alle übrigen, die dabei nicht benötigt werden, einfach chancenlos aufs Abstellgleis zu schieben?

"Penner gab es nicht"

Jain. Es gab in der DDR auch arbeitsscheue Elemente. Die bekamen so eine Art Sozialhilfe, die daraus bestand, daß ihnen der Staat Miete, Strom und Wasser bezahlte und daß sie für alle lebensnotwendigen Dinge Einkaufsgutscheine bekamen. Es gab aber vereinzelt auch Menschen, die auf der Straße oder in abenteuerlichen Behausungen irgendwo im Wald lebten. Die taten das aber aus eigenem freien Willen. Und die gab es in der Bundesrepublik auch. Irgendwann in den 80er Jahren wurde da mal ein Studentenpärchen entdeckt, das illegal in einer Erdhöhle wohnte. Die haben das aber wahrscheinlich nur getan, weil die Mieten im Westen so hoch waren. In der DDR hätten die billig in einem Studentenwohnheim leben können und als Ehepaar sogar noch spezielle Förderung vom Staat bekommen.

"Ganz zu schweigen davon, daß es auch noch eine Mauer, genannt "Friedensschutzwall" gab, die man einfach nicht überqueren durfte, an der sogar Menschen erschossen wurden, und von der politischen Gehirnwäschen in Kindergärten, Schulen, Universitäten und Fernsehen mal ganz abgesehen."

Das waren die negativen Seiten, die aber eher auf den Einfluß des Stalinismus zurückzuführen waren.

"Aber eine abgesenkte Sraße ist tatsächlich schon der Hammer: Ja, sowas hätte es zu DDR-Zeiten nie gegeben!"

Moment mal - da verstehst du mich jetzt falsch! Ich meinte, daß diese eine spezielle Straße in diesem Dorf zu DDR-Zeiten niemals so katastrophal aussah wie nach dieser Umgestaltung, die jede Menge Fördermittel verschlungen hat.

"Als ich dann mal wieder nach der Wiederveinigung Mitteldeutschland einen Besuch abstattete und nach Berlin gefahren bin, habe ich die Veränderungen gesehen. Es wurde - allein was die Infrastruktur angeht - viel investiert."

Ja, in Berlin sowieso. Aber fahr mal in manche Orte Vorpommerns. Da sieht es teilweise aus wie im 19. Jahrhundert.

"Aus eigener Tasche hätte die DDR das nie geschafft"

Ja, weil sie eben Kosten und Hindernisse hatte, die die Bundesrepublik so nicht hatte. Im übrigen hab ich mich bei der Zahl, die dieses westdeutsche Expertenteam 1989/90 als angemessene Ausgleichszahlung des Westens für die hauptsächlich vom Osten erbrachten Kriegs-Reparationen berechnet hat, vertan. Ich hatte sie mit 650 Milliarden angegeben. Tatsächlich waren es exakt 727,1 Milliarden DM. Wenn man den Osten mit dem Westen vergleicht, muß man diese Zahl noch verdoppeln. Weil nämlich die DDR einerseits diese Summe aufbringen mußte, während die Bundesrepublik sie andererseits eingespart hat und somit für Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft verwenden konnte.

Die 650 Milliarden waren in etwa die Summe, die ostdeutsche Wirtschaftsexperten Ende der 80er Jahre dafür errechneten, die ostdeutsche Wirtschaft innerhalb der 90er Jahre auf den Stand der Bundesrepublik in den 80er Jahren zu bringen. Es ist interessant, daß diese Summe fast der Summe entsprach, die die westdeutschen Experten eben als Ausgleich für die übermäßigen Reparationslasten Ostdeutschlands berechnet hatten.

"...auch wenn die Pro-Kop-Verschuldung in der DDR nicht existierte."

Das habe ich ebenfalls nie behauptet. Auch die DDR hatte Staatsschulden, denen jedoch Guthaben und Forderungen in ausreichender Höhe entgegen standen. International stand die DDR in dem Ruf, Kredite immer pünktlich zurückzuzahlen. Die Bundesregierung hat nach der Wiedervereinigung mal eine Summe von etwa 216 Millarden DM veröffentlicht. Diese Summe entsprach allerdings nicht der tatsächlichen Verschuldung der DDR. Da hat man nämlich z.B. auch Kosten mit hineingerechnet, die durch die Währungsunion entstanden sind. Aber selbst wenn man diese Summe unkorrekterweise mit den Staatsschulden der DDR gleich setzt, kommt man für die Ostdeutschen für das Jahr 1990 auf eine Staatsverschuldung von pro Kopf etwa 13400 DM, für die Westdeutschen dagegen auf ca. 15000 DM.

"Auch der Vergleich mit "kapitalistischen" Ländern in Südamerika - was soll das?"

Das bezog sich auf Behauptungen insbesondere von CDU-Politikern, daß die DDR ja aufgrund ihres Wirtschaftssystems ja ohnehin völlig zerrüttet gewesen wäre. Merkwürdigerweise stand sie aber wirtschaftlich eben besser da als viele kapitalistische Staaten auf der Welt, und in Bezug auf diese Staaten redet merkwürdigerweise niemand davon, daß der Kapitalismus völlig versagt hätte und daß es dort deshalb nur Müll und Schrott gäbe.

Natürlich gibt es Gründe, wieso Länder wie Columbien keine wirtschaftlichen Großmächte sind. Und diese Gründe haben nichts mit der dort herrschenden Gesellschaftordnung zu tun. Aber es gibt eben auch Gründe dafür, daß die DDR nie den Stand der Bundesrepublik erreicht hat, und diese Gründe haben zum großen Teil ebenfalls nichts mit der Planwirtschaft oder mit dem Sozialismus zu tun. Und besonders augenfällig wird das eben dann, wenn man die DDR nicht immer nur mit den stärksten kapitalistischen Ländern vergleicht, sondern auch mal mit den weniger starken oder eher schwachen kapitalistischen Ländern.

"Warum hat sich die andere Hälfte nicht halten können - weder wirtschaftlich, noch ideologisch?"

Weil dort ganz bestimmte Fehler gemacht wurden. Die Gründung der Sowjetunion war ohnehin eine historische Fehlentwicklung, die im übrigen auch den Theorien von Marx widersprach. Das war den Sowjets auch bewußt, und deshalb bezeichneten sie ihre Ideologie nicht als Marxismus, sondern als Marxismus-Leninismus.

Der große Denkfehler bestand darin, daß man glaubte, den Kommunismus unabhängig von der übrigen Welt und auch unabhängig von den bestehenden Verhältnissen im eigenen Land aufbauen zu können. Marx hatte immer betont, daß der Kapitalismus erst die Grundlagen schaffen muß, auf denen man irgendwann vielleicht einmal den Kommunismus errichten könne. In Rußland dagegen war ja noch nicht einmal der Kapitalismus voll entwickelt. Das Land steckte doch noch halb im tiefsten Feudalismus. So wäre es jetzt sinnvoll gewesen, wenn man nach dem Sturz des Zarenregimes eine bürgerliche Regierung eingesetzt hätte, was ja zunächst auch geschehen ist. Die Kommunisten hätten ihre starke Position dazu nutzen müssen, um den Kapitalismus sozialer zu gestalten, also eben eine soziale Markwirtschaft zu schaffen, ähnlich wie wir sie auch bisher noch haben. Stattdessen stürzten sie die bürgerliche Regierung und übernahmen die Macht vollständig.

Das war schon der erste, grundlegende Fehler. Denn bald zeigte sich, daß das Bewußtsein der Menschen leider nicht den hohen kommunistischen Idealen entsprach. Bauern hielten ihre Ernten zurück, um sie dann zu umso höheren Preisen verkaufen zu können, Händler zogen Silbermünzen aus dem Verkehr und schmolzen sie ein, weil die kommunistischen Machthaber dummerweise nicht darauf geachtet hatten, daß der Münzwert den Materialwert übersteigt usw. Dem versuchte man durch Zwangskollektivierungen und ähnlichem zu begegnen. Das war in dieser Situation nötig, aber wenn es gar nicht erst zu dieser generellen Fehlentwicklung gekommen wäre, dann wäre es nicht nötig gewesen.

Durch Stalin wurde dann alles noch schlimmer, und der Stalinismus hat dann ja auch die Gesellschaft in der DDR entscheidend geprägt. Dieser Einfluß hat sich ebenfalls als äußerst schädlich erwiesen und war natürlich auch noch ein zusätzlicher Grund dafür, daß die DDR die Bundesrepublik nie einholen konnte.

In den 60er Jahren gab es in der DDR mal eine Bewegung, die die Wirtschaft reformieren wollte. Das Ganze bezeichnete mal als Neue Ökonomische Politik, kurz NÖP. Ziel dieser Bewegung war mehr Entscheidungsfreiheit für die volkseigenen Betriebe und auch eine realistischere Preisgestaltung. Diese Bewegung hätte die DDR-Wirtschaft durchaus entscheidend verbessern können, nur leider scheiterte sie am Anspruch der SED, in allen Punkten die führende und entscheidende Macht in der DDR zu sein, also letztendlich am Stalinismus.

"...richtig gescheitert sind bis jetzt aber ausschließlich die "kommunistischen" Diktaturen."

Das stimmt so nicht. Es gibt genügend Beispiele für kapitalistisch geprägte Diaktaturen, die ebenfalls gescheitert sind. Wie z.B. das Batista-Regime auf Cuba.

"Jeder angestrebet kommunismus, sprich Sozialismus ist eine Diktatur."

Nein, eben nicht. Was verstehst du genau unter Sozialismus? Was meinst du denn, was wir hier in Deutschland haben? Wir haben hier auch keine freie Marktwirtschaft, also keinen reinen Kapitalismus! Die hatten wir im 19. Jahrhundert mal kurzzeitig, mit den bekannten fatalen Auswirkungen. Wir haben heute eine soziale Marktwirtschaft, also eine Mischform aus Kapitalismus und Sozialismus.

"Stimmt, ohne Arbeit oder Leistungsbereitschaft keine Gegenleistung - so sollte es sein!"

Ja, so sollte es sein. Ist es aber leider nicht, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

"Warum nicht? Das Geld, was der Reiche hat, hat er meistens hart erarbeitet."

Also, Jens, als ich das gelesen habe, mußte ich erstmal laut lachen. Ich habe vor ein paar Tagen beim Herumzappen gerade wieder eine Reportage über irgendeine reiche Tussi gesehen, die stolz erzählte, daß sie schon über 30 Pelzmäntel hätte usw. Die sah nicht aus, als wenn sie in ihrem Leben jemals irgendetwas sinnvolles getan hat.

Ist dir eigentlich schonmal aufgefallen, daß viele große Unternehmen in Deutschland (wie z.B. Krupp oder Thyssen) Familien gehören, die schon seit Jahrhunderten reich sind? Meinst du, das ist Zufall? Du kannst nur dann viel Geld verdienen, wenn du bereits viel Geld hast, das du investieren oder anlegen kannst. Wenn du gar nichts hast, dann kriegst du auch nichts, kannst somit also nichts investieren oder anlegen und kriegst deshalb dann auch wieder nichts. So ist das ganze System angelegt. Reiche bleiben reich und Arme bleiben arm.

Nur mit sehr viel Glück und unter sehr günstigen Umständen kann man die berühmte Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär hinlegen. Ansonsten ist das ein Märchen. Bill Gates hat sein Vermögen nicht bekommen, weil er besonders intelligent und clever ist. Nein, er hatte einfach nur Glück und war zur rechten Zeit zufällig am rechten Ort. Aber die Geschichte ist wohl hinlänglich bekannt.

Das bedeutet also: Die einen strampeln sich ihr Leben lang ab, arbeiten hart und schwer und können froh sein, wenn sie es schaffen, mit ihrem Einkommen ein eigenen Häuschen zu finanzieren. Andere dagegen tun ihr ganzes Leben lang gar nichts Sinvolles und leben dabei in Saus und Braus. Es gibt heute kaum noch ein großes Unternehmen, das tatsächlich von seinen Besitzern geleitet wird. Die engagieren heute dafür fast allesamt Manager. Zwar wissen sie genau, daß so immer wieder Geld verschwindet, aber für sie bleibt ja noch genug übrig und vor allem haben sie so keinen Streß und brauchen nichts weiter tun als Geld auszugeben.

"Warum soll er durch Zinsgewinne nicht mehr Geld bekommen, wenn dadurch sein Geld arbeitet."

Sieh das mal ganz grob. Wie hast du es oben formuliert: Ohne Arbeit keine Leistung. Das kann man auch so ausdrücken: Jede Leistung muß erarbeitet werden. Wenn nun jemand Zinsen einstreicht, tut er aber nichts dafür. Woher kommt also die Arbeit für diese Leistung?

Du hast gerade schön beschrieben, wie die Bank die Zinsen erwirtschaftet. Sie vergibt z.B. Kredite und verlangt dafür wiederum Zinsen. Dann ist da z.B. ein kleiner Unternehmer, der sich nun die Zinsen womöglich vom Munde abspart und auch seinen Mitarbeitern erstmal nur geringe Löhne zahlen kann. Er und seine Mitarbeiter erarbeiten dann also die Zinsen, und damit zum einen den Profit für die Bank und zum anderen die Zinseinkünfte für den oben erwähnten Geldanleger.

Nun könnte man ja einwenden, daß so gesehen Zinsen grundsätzlich abgeschafft werden müßten. Normalbürger haben einen großen Teil ihres Geldvermögens ja schonmal auf Girokonten, bei denen sie oft sogar noch draufzahlen, also real keine Zinsen bekommen. Viele haben natürlich auch noch den einen oder anderen Tausender anderweitig und damit zinsbringend angelegt, aber in der Regel ist das ja Geld, das wenigstens tatsächlich erarbeitet wurde. Außerdem sind die dafür fälligen Zinsen eher niedrig.

Bei diesen Superreichen, die ihren Reichtum aus jahrhundertealtem Besitz ererbt haben, sieht das aber so aus, daß sie oftmals gar nichts für ihr Geld tun. Und sie legen nicht nur ein paar Tausender an, sondern enorme Summen, für die dann also auch enorme Zinsen erwirtschaftet werden müssen. Umso mehr Menschen müssen also deren Reichtum mit erwirtschaften. Und durch die Zinsen funktioniert das Ganze dann wie eine Lawine. Immer mehr Vermögenswerte gehen in den Besitz dieser Superreichen über, und sie müssen sich schon sehr dämlich anstellen, um ihr Vermögen loszuwerden. Theoretisch kann das also dazu führen, daß irgendwann sämtliche Vermögenswerte im Besitz einer einzigen Person sind und der Rest der Menschheit überhaupt nichts mehr besitzt. Das ist jetzt natürlich sehr hypothetisch, aber in dem jetzigen System wäre es möglich, daß es soweit kommt.

Es gibt nur eine Möglichkeit, dem einen Riegel vorzuschieben, nämlich indem man Superreiche stärker besteuert und so dafür sorgt, daß sich nicht zuviele Vermögenswerte im Besitz einzelner Personen ansammeln können.

Das wird ja durchaus auch getan, aber offensichtlich noch nicht gründlich genug. Denn es ist immer noch so, daß immer mehr Vermögen in den Besitz immer weniger Menschen gelangt. Es gibt in Deutschland also immer weniger Menschen, die sehr viel besitzen, andererseits aber auch immer mehr Menschen, die sehr wenig besitzen und immer weniger Menschen, die im Bereich dazwischen eingeordnet werden können.

Wenn die SPD nun endlich auch Gewinne aus Aktien- und Immobilien-Verkäufen besteuern will, dann ist das also sehr wohl ein Schritt in die richtige Richtung. Zumal ja auch gerade die Tatsache, daß Aktiengewinne in Deutschland nicht besteuert wurden, dazu beigetragen hat, daß Investoren ihr Geld häufig lieber in Aktien als in neue Produktionsanlagen und damit in Arbeitsplätze investiert haben.

"Das einzige, was ich von einem wirtschaftssystem erwarte, ist, daß jeder Mensch in der Bildung die gleichen Chancen bekommen soll."

Das ist nun aber gerade ein Punkt, in dem die DDR der Bundesrepublik deutlich überlegen war! Vor allem was Berufsausbildung anging. In der DDR konnte jeder Jugendliche einen Beruf erlernen, und auch jeder Erwachsene konnte jederzeit eine Berufsausbildung machen. Damit tut sich die Bundesregierung bis heute deutlich schwerer.

"Neidisch zu sein auf jemanden, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort das richtige tat und dadurch viel Geld machte und reicht wurde, sollte man nicht sein - zumindest nicht den Neid haben, daß man ihm das Geld wegnimmt, höchsten in der Form Neid haben, daß man selbst anstrebt, großartiges zu leisten."

Es geht nicht um Neid, sondern um Chancengleicheit und darum, daß es nicht angehen kann, daß die Mehrheit den Reichtum einer Minderheit erarbeiten muß. Es ist sehr leicht gesagt, daß doch jeder auch etwas leisten und so reich werden könne. Allein durch Arbeit wird man nicht reich, Jens. Reich wird man vor allem durch Geld, das man dazu aber erst einmal haben muß. Wenn man Geld hat und auch noch viel arbeitet, kann man natürlich noch reicher werden, als wenn man nur faul von Zinsen lebt. Wenn man aber kein Geld hat, kann man noch so hart arbeiten und wird trotzdem niemals reich sein.

"1. muß jemand erstmal Geld verdienen, um mit einem Mausklick mehr Geld zu verdienen."

Nein. Er kann das Geld auch einfach erben oder unterschlagen.

"2. Trägt er auch das Risiko: er kann alles verlieren."

Es gibt genügend illegale Machenschaften an der Börse, wo Insiderwissen weiter gegeben und damit viel Geld verdient wird. Da hat man dann höchstens noch das Risiko, dabei erwischt zu werden. Aber das läßt sich beispielsweise durch ein Nummernkonto in der Schweiz minimieren. Dann hat man zumindest das Geld sicher.

"Börse ist nicht ganz so wie Roulette, ich weiß, aber so ähnlich. Der 11. September - was meinst du, was der machem Aktionär gekostet hat...."

Ich hab mal irgendwo gehört, daß die Mitarbeiter einer bekannten Börsenzeitschrift mit Hilfe einer Dartscheibe und Wurfpfeilen ermittelt haben, in welche Aktien sie investieren...

"Auf der anderen Seite ermöglicht der Aktionär Firmen den Fortbestand und die Expansion, schließlich ist der auf Firmenteilhaber. Damit sichert der Aktionär Arbeitsplätzer, weil der der Firma Kapital zur Verfügung stellt."

Theoretisch ist das so. Was aber, wenn die Firma das Geld gar nicht in Produktionsanlagen investiert? Da in Deutschland mit Aktien oftmals mehr Geld zu verdienen war, wurde Geld einfach wieder in Aktien investiert. Nun könnte man ja sagen, daß das Geld dann doch aber in die Produktion fließt. Vielleicht. Vielleicht wird es aber auch wieder nur in Aktien oder auch in Immobilien investiert... So entsteht eine imaginäre Finanzwelt, deren Gewinne innerhalb dieser Welt nicht durch wirkliche Leistungen abgedeckt werden. Die Leistungen müssen also zwangsläufig in der realen Welt erbracht werden, so daß immer wieder Geld aus der realen Welt in diese imaginäre Scheinwelt hineinfließt und dort eine Weile gebunden ist, bis es irgendwann wieder mal zurück in die reale Welt kommt und dort dann endlich volkswirtschaftlich sinnvoll investiert wird.

Freundliche Grüße
von Garfield


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