Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Überlegungen einer Feministin

Leah, Thursday, 10.01.2002, 15:31 (vor 8355 Tagen)

Hallo Männer.

Zunächst mal möchte ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, klarstellen daß ich ganz bestimmt nicht das bin was sich viele Männer unter dem Wort "Feministin" so vorstellen. Also weder häßlich noch dogmatisch, keine Männerhasserin und Frauenverherrlicherin. Eher schon jemand die einfach ein Auge für Ungerechtigkeiten hat, ob sie nun mir selbst oder anderen widerfährt, alt, jung, Mann, Frau, Tier...was auch immer.

Ich habe ein paar Gedanken aufgeschrieben die ich ganz ausdrücklich hier ZUR DISKUSSION stellen will. Wer also meint sich angegriffen fühlen zu müssen, bitte. An mir soll´s aber nicht liegen.

1. Ich habe bei manchen Männern das Gefühl daß sich hinter ihrer Kritik an bestimmten Ausprägungen und Konsequenzen der Frauenbewegung ein grundlegender Widerwille versteckt, einer Frau von gleich zu gleich gegenüber zu treten (damit meine ich GLEICHWERTIG). Ich will nicht postulieren daß sich das tatsächlich und überall so verhält. Aber es gibt meiner Erfahrung nach Formen von Kritik die Deckmäntelchen für Verachtung sind.
2. Werden manche Erfolge der Frauenbewegung mit genau so einer einseitigen Sichtweise bedacht wie sie eigentlich den "Emanzen" vorgeworfen wird. Am Beispiel Frauenquote möchte ich das deutlich machen.
Es wird oft argumentiert daß die Frauenquote Diskriminierung von Männern sei. Ich kenne selbst die Nachteile einer Quotenregelung. Trotzdem ist sie (wie alles) nicht NUR schlcht oder NUR gut. Ich habe jedenfalls noch nicht erlebt daß eine völlig inkompetente Frau per Quote einen qualifizierten Mann arbeitslos gemacht hat. Der Ursprüngliche Gedanke der Quote beruhte auf der Erfahrung (nicht der theorethischen Behauptung!) daß Frauen trotz Qualifizierung von (damals praktisch ausschließlich männlichen) Personalchefs, Abteilungsleitern, usw. benachteiligt wurden. Es ging also darum Diskriminierung auszugleichen - nicht darum Männer fertig zu machen.
Das ist AUCH ein Teil der Geschichte der Quote.
Beispielsweise ist es wohl auch für den simpelsten Kopf leicht auszurechnen daß eine Schieflage vorliegt wenn 50% der Bevölkerung nur 3% der Sitze in der Regierung haben, wie vor 40 Jahren. Beispielsweise.
3. Damit wären wir beim nächsten Punkt. Ich glaube daß wir ohne die Frauenbewegung (so kritisierbar sie an manchen Punkten auch war) keinen Deut andere Verhältnisse hätten als damals. Ich glaube nicht daran daß Männer irgendwann gesagt hätte "oh, wir haben die Frauen ja ganz vergessen. Laßt uns denen mal mehr Einfluß geben". Wer den Feminismus nicht nur beschimpft sondern sich auch mit seiner Geschichte auskennt, der weiß mit was für Häme und Beleidigungen diese Frauen damals bedacht wurden. Die Anfänge der Bewegung waren auf die Zusammenarbeit mit Männer ausgelegt. Die Radikalisierung, die diesen Frauen heute oft vorgeworfen und mit der sie verächtlich gemacht werden, kam später. Und das hatte AUCH damit zu tun daß eine Mehrheit der Männer nichts als Hass und Spott für die Forderungen dieser Frauen über hatte.
4. Es wird oft gesagt, der Feminismus wolle Sonderrechte für Frauen. Ich sehe das nicht so. Letztendlich ging es grundlegend erst mal um Menschenrechte und respektvolle Behandlung von Frauen. Man sollte nicht vergessen wo wir herkommen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren Frauen praktisch rechtlos. Es gab nur einen vorgesehenen Lebensweg für sie. Als individuelle Person mit Fähigkeiten und Möglichkeiten existierten sie nicht. Ist das menschenwürdig?
Noch in den 70er Jahren konnte ein Mann die Arbeitsstelle seiner Frau eigenmächtig kündigen wenn er meinte die Hausarbeit würde unter ihrer Berufstätigkeit leiden. Erst in den 90ern (!) wurde die faktische Vorstellung, die Frau habe dem Mann verfügbar zu sein, durch das Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe abgeschafft. Auch heute noch kommen Frauen viel langsamer im Beruf voran als Männer, was NICHT NUR an ihnen selber liegt. Usw.
5. Ich glaube daß es für viele Männer sehr lehrreich wäre sich mit der Kultur von Geschlechterrollen und der Tradition von Männlichkeitsbegriffen mal sachlich auseinander zu setzen. NICHT weil es dabei um persönliche Schuld geht, das tut es nicht. Aber wenn wir weiter kommen wollen als bis zu mehr oder weniger subtilen bis deutlichen Schuldzuweisungen, dann müssen Männer eben auch ihren Teil tun. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, einzusehen daß in unserem teil der Welt Männer seit ewigen Zeiten die faktische soziale, finanzielle und politische Macht hatten. Und diese Einflußmöglichkeit haben sie eben NICHT genutzt um selbstbewußte Töchter großzuziehen.
Erst seit ein ganz paar Jahren beginnt sich das ernsthaft zu ändern.
6. Zu diesem Prozess gehört eben auch, daß Männer nicht mehr 80% des Platzes in der Gesellschaft beanspruchen können als wenn sie allein auf der Welt wären. Das bedeutet auch, Platz zu machen. Nicht für jede Frau die zufällig des Weges kommt, aber mindestens für die die können und wollen. Viele Männer aber haben das Gefühl da würde ihnen etwas gestohlen was rechtmäßig ihres ist. Und tun so als wenn es um Entmachtung der Männer geht und Frauen jetzt bevorzugt werden. (Sie kämen natürlich nie auf die Idee daß sie selber das Problem haben, zur inneren Orientierung eine Geschlechterhierarchie zu wollen und zu brauchen.)
7. Ich kann Euch aus eigener Erfahrung sagen daß es nicht so ist. Guckt Euch die Rentenstatistiken an, guckt Euch die Armutsstatistiken an. Die Krönung-Light-Karrierefrau, das ist nicht die Realität. Ich weiß nicht ob wir es schwerer haben, warscheinlich nicht, warscheinlich kann man die Lebenswelten von Männern und Frauen nicht vergleichen. Aber LEICHTER? Nein leichter haben wir es auch nicht.

Letzten Endes müssen wir uns zusammenraufen. Denn alte Besitz- und Machtverhältnisse wieder herstellen, bloß damit eine bestimmte Sorte Mann seine Verunsicherung und Unfähigkeit zum Respekt (auch sich selbst gegenüber) nicht spüren muß...das kann nicht der Weg sein.


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