Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Welche Freiheit? Hatten wir denn schon mal welche?

Maesi, Monday, 14.01.2002, 22:32 (vor 8351 Tagen) @ Beatrix

Als Antwort auf: Welche Freiheit? Hatten wir denn schon mal welche? von Beatrix am 10. Januar 2002 20:19:32:

Hallo Beatrix

Freiheit bedeutet, daß der Einzelne das Recht hat, sein eigenes Leben so zu gestalten, wie er es will, ohne daß der Staat oder jemand anderes ihm vorschreibt, wie er zu leben hat oder nicht zu leben hat, und ohne daß jemand bevorzugt oder benachteiligt wird, weil er ein kollektives Merkmal besitzt, für das er nichts kann und das er nicht frei gewählt hat.

Ich wunder emich nur, daß Du diese Freiheit jetzt schon für verwirklicht hältst. Ja, ich bin wirklich sehr erstaunt.

Sie ist natuerlich nicht vollstaendig verwirklicht und wird es auch nie sein. Trotzdem besitzen wir heute sehr weitgehende Freiheiten, welche vorhergehende Generationen nicht oder nur teilweise besassen (z.B. Niederlassungsfreiheit, Redefreiheit, u.a.m.).

Die einzelne Frau besitzt die gesamte staatsbürgerliche Freiheit. Sie besitzt gleiche Rechte wie Männer. Sie kann ihr Leben gestalten, wie sie will, ohne jede Bevormundung von Seiten des Staates oder anderer.

Bis hierher hast Du recht. Dem Gesetz nach sind inzwischen die Geschlechter gleichgestellt, dank der unermüdlichen Bemühungen einiger Frauenrechtlerinnen.

Er und Du, Ihr habt teilweise recht. So gibt es natuerlich auch Pflichten, die die Freiheit einschraenken (z.B. Steuerpflicht, Wehrpflicht, Schulpflicht, Meldepflicht, Unterhaltspflicht, u.a.m.). Natuerlich haben Maenner z.B. die Wehrpflicht, die die Frauen nicht haben. Maenner gehen spaeter in Rente als Frauen. Die gesetzliche Gleichstellung ist somit noch nicht (auch nicht mit Hilfe der Frauenrechtlerinnen) realisiert; Du hast das Woertchen 'weitgehend' vergessen.

Aber im folgenden verwechslst Du einfach ein bißchen zu oft die Gesetzeslage und die tatsächliche Lebenssituation von Frauen und Männern. Wir Menschen entscheiden nun mal nicht nur nach Paragraphen, sondern nach unserem ganz subjektiven Urteil. Und das ist von persönl. Erfahrungen und Vorurteilen geprägt. Fakt ist, daß sowohl Männer als auch Frauen nach wie vor - wenn auch in unterschiedlichen Lebensbereichen - benachteiligt werden. Bis zur wirklichen Chancengleichheit und freier Entfaltung des Individuums ist noch ein weiter Weg.

Wesentlich wichtiger ist IMHO die materielle Einschraenkung. Wenn mir ein Recht zugestanden wird, heisst das noch lange nicht, dass ich es auch nutzen kann. Was nuetzt mir beispielsweise das Recht auf Eigentum, wenn ich nichts sparen kann, um es zu kaufen (z.B. Wohneigentum, Auto). Die materielle Unabhaengigkeit ist somit sehr wichtig fuer die Ausuebung der Freiheiten. Ausserdem ist bereits heute der freien Entfaltung des einen durch berechtigte Ansprueche von anderen Grenzen gesetzt (z.B. kannst Du nicht morgens um 2.00 Uhr eine Riesenparty feiern, wenn der Nachbar etwas dagegen hat).
Natuerlich kann man mittels Gesetzen das ungleich verteilte Eigentum umverteilen (sozialistisches Ideal). Dabei geht man jedoch von einer statischen Sicht aus und vergisst, dass das Anhaeufen von Reichtum ein wesentlicher Antrieb ist fuer Mehrleistung; d.h. wenn jemand viel leistet, und man nimmt ihm den groessten Teil seines damit erarbeiteten Vermoegens wieder weg, dann sinkt seine Leistungsbereitschaft rapide. Deshalb konnte in kommunistischen Staaten nie eine aehnliche Produktivitaet erreicht werden, wie in marktwirtschaftlich orientierten Staaten.
Das Dumme ist, dass eine Erhoehung der Produktivitaet nicht automatisch auch eine materielle Verbesserung fuer die Allgemeinheit bedeutet. Aber selbst wenn die Allgemeinheit von der Produktivitaetssteigerung materiell mitprofitiert, kann u.U. der Preis dafuer im immateriellen Bereich bereits wieder zu hoch sein. Immaterielle Werte sind jedoch noch schwieriger zu bewerten als materielle. Materielle Werte koennen mittels Geld bewertet werden. Was kaeuflich ist, kann mit einer genuegend hohen Summe erworben werden. Wie kann ich jedoch z.B. Gesundheit, Erfolg oder schoene Augenblicke im Leben kaufen?
Deine schwammigen Vorstellungen von Chancengleichheit und freie Entfaltung des Individuums bleiben IMHO Utopie, denn verschiedene Menschen werden verschiedenes darunter verstehen. Und der Glaube an ein System von Gesetzen und Regeln, welches den Garten Eden fuer alle bringen soll, erscheint mir wie der Glaube an den Messias. Ich bin sogar der Meinung, dass erhebliche Verbesserungen im einen Bereich nicht mehr moeglich sind ohne gleichzeitige Verschlechterungen in einem anderen.

Gruss

Maesi


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