Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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14. 6. 14. "Forum Intervention"

Kurti, Wien, Saturday, 25.07.2009, 20:19 (vor 5602 Tagen) @ Kurti

14. 6. 14. "Forum Intervention"

Auszug aus einem Referat der Leiterin von "Forum Intervention" einer Hamburger Anti-Gewalt-Beratungsstelle, die sich zunächst nur auf gewalttätige Männer konzentrierte, dann aber parallel dazu auch Beratung für gewalttätige Frauen ins Programm aufnahm:


"(…) Wir haben erst seit circa fünf Jahren ein 'offizielles' Angebot und eine ständig steigende Zahl von Täterinnen, die bei uns Beratung suchen. (…) Und das, obwohl wir den Bereich der Täterinnenarbeit bisher noch nie konkret beworben haben. (…) Doch bereits in den Anfängen unserer Arbeit wurden wir von einigen Männern (Männer, die eine Beratungsstelle für gewalttätige Männer aufgesucht hatten, Anm.) immer wieder darauf hingewiesen, dass sie in ihren Beziehungen selbst Prügel bekommen hatten. Prügel von einer Frau. (…)
Zu Beginn der Neunziger Jahre machten wir die Erfahrung, dass sich im Anschluss an die Veranstaltungen oder am Abend nach einem Seminar manche Teilnehmerinnen als Täterinnen outeten.
Wir konnten und wir wollten dies zuerst kaum glauben. (…) Erst die Häufung der Erzählungen der betroffenen Männer und die Häufung unserer Seminarerfahrungen in Verbindung mit der Tatsache, dass sich trotz des Namens 'Männer gegen Männer-Gewalt' auch zunehmend Täterinnen an unsere Beratungseinrichtungen gewandt haben, ließen uns aufhorchen. (…)
So kam zu Beginn dieses Jahrzehnts unsere bis dahin immer wieder vertretene Position, dass Männer hauptsächlich häuslich gewalttätig wären, nicht zuletzt aufgrund unserer eigenen Befragungen ins Wanken. (…)
Ausblenden von weiblicher Täterschaft im Allgemeinen (…) Frauen als Täterinnen werden offiziell per se ausgeblendet (…) Die Wissenschaftlichkeit musste einer Ideologie weichen. (…) offen die eine Hälfte der Bevölkerung dämonisiert, die andere Hälfte als mögliche Täterinnen jedoch komplett ausblendet. (…) Einnahme der weiblichen Opferhaltung (…)
Oder er zieht Entschuldigungen für das Verhalten seiner Partnerin heran. Zu hoch ist die Scham, geschlagen worden zu sein, zu massiv der eigene Wertekonflikt, als Mann 'unter den Pantoffeln der Frau zu stehen'. Die Konsequenz davon ist, dass die Frau sich überhaupt nicht mehr in der Verantwortung sieht.
Wiederherstellung der weiblichen Integrität:
Die Frau steckt in einem inneren Dilemma. Einerseits verstößt sie durch ihre Tat gegen alle gesellschaftlichen Stereotypen. Sie ist Frau und somit das schwache Geschlecht, hilfsbedürftig und friedfertig. Andererseits wird die Gewalttat in ihr Weiblichkeitskonzept integriert, indem es umgedeutet wird: Ich lasse mir von einem Mann nicht alles gefallen, ich bin wehrhaft und durchsetzungsstark. (…)
Rechtfertigung und vorauseilende weibliche Absolution im gesellschaftlichen Mainstream:
Frauen machen manchmal ihre Gewalttat öffentlich und vertrauen sich der 'besten' Freundin, Mutter und/oder einer Beratungsstelle an. Die Offenbarung geschieht jedoch zur Legitimation ihrer Tat, um eine Absolution zu erhalten. Die Legitimation gelingt leichter durch die gesellschaftlichen Zusammenhänge, im Speziellen durch die weibliche Sozialisation und den darin implizierten weiblichen Opferstatus. Frauen kennen sich im Opferstatus gut aus. (…)
Sind Frauen immer Opfer, sozusagen per Geschlechtszugehörigkeit?
Nein. Aber sie erhalten aufgrund ihres zementierten Opferstatus die gesellschaftlich bedingte, gleichsam vorauseilende Absolution, falls sie einmal Täterin werden.
Dies alles führt zur Leugnung der weiblichen Täterschaft und die gesellschaftlich anerkannte Lüge von der friedfertigen Frau kann aufrecht erhalten werden. Fatalerweise wird Gewalt unter Frauen beinahe ausschließlich in der Opferhaltung thematisiert. Frauen, die Männer geschlagen haben, erzählen anderen Frauen davon, indem sie sich darstellen als Frauen, die die Demütigung durch den Mann überwunden zu haben scheinen. Durch Schlagen erhält die Frau sogar eine positive weibliche Integrität wieder und: sie verharrt gleichzeitig wieder im Opferstatus. (…)
'Schwach zu sein', 'kein ganzer Kerl zu sein', 'ein Weichei, wie es im Buche steht', 'unter den Pantoffeln der Frau zu stehen' etc. (…)
das manipulative Einsetzen von Tränen (…), mit dem die Täterin sich (…) als Opfer widriger Umstände sieht."
(Quelle: Sabine Seifert-Wieczorkowsky, B. Oelemann: "Genderorientierte Gewaltberatung. Beratung von Täterinnen im Dunkelfeld". Vortrag, gehalten auf: "TÄTERINNEN – Befunde, Analysen, Perspektiven. Fachtagung der Kriminologischen Zentralstelle e. V. vom 28. bis 30. Oktober 2008".)


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