FAZ 1. September 1984, Kommentar zum neuen Scheidungsgesetz
(Zitat)
Nach Karl Marx galt es, die Familie „praktisch und theoretisch zu vernichten“, wie Professor Konrad Löw berichtete. Bewusst oder unbewusst gelang es mit dem Familienrechts-Reformgesetz von 1977 (1.EheRG) diese Zielsetzung rechtsförmig zu organisieren. Das als „Jahrhundertwerk“ gepriesne Reformgesetz erwies sich als Plagiat des russischen Gesetzesvorbilds aus der Revolution von 1917.Zu diesem Gesetz schrieb Professor Dr. jur. Detlef Liebs: Die Liberalen brachten das Weglauf-Prinzip ins neue Scheidungsrecht ein, das freilich ursprünglich auch keinen Geschiedenenunterhalt vorsah. Die Sozialdemokraten fügten das nacheheliche Versorgungs-Prinzip hinzu, allerdings in maßvoller Höhe. Und die christlichen Demokraten mit ihrer Sperrmehrheit im Bundesrat pfropften darauf das Mutti-Prinzip, das besagt: Wer den Trauschein geschafft hat, darf sich für sein weiteres Leben aus Sofa legen, und zwar ein Sofa nach den Verhältnissen des oder auch der Angetrauten….Die erzielte Mischung fordert geradezu dazu auf, sich zum Schmarotzer zu entwickeln. Schönredner der jeweiligen Regierung sagen dazu, der Staat ziehe sich aus einem ehedem geübten Sittenrichteramt zurück, idem er die Beurteilung des privaten Ehelebens den Beteiligten überlasse; dadurch gebe er den Bürgern ein Stück Freiheit zurück. Das Gegenteil stimmt. Nie waren Richter in Ehesachen so mächtig wie heute, und natürlich möchten sie diese Macht behalten, mit der sie Männer und Frauen jeder Couleur wirtschaftlich verkümmern oder blühen lassen können. Hoch und niedrig ist ihnen ausgeliefert. Nie waren ihrem Ermessen so weitreichende Entscheidungen anvertraut; nie auch dauerte eine Scheidung, zermürbend vor allem für den, der eine Ehe ernst nahm, so endlos lang, konnte sie einseitig so unabsehbar in die Länge gezogen werden. Vaterschaftsprozesse und höchst ungerechte Kindesunterhaltsansprüche sind die Folge.
Das Schlimmste an der geltenden Regelung ist aber, dass sie dazu verführt, die nächste Generation dem besseren Heuchler zu überantworten. Großzügig belohnt wird, wer am gewissenlosesten Kindeswohl vormachen kann; wer sich nicht scheut, Kinder gegen den anderen Elternteil aufzuhetzen. Oder brauchen Kinder vor allem selbstsüchtige Erzieher? Wie un-gerecht die geltende Regelung mit ihren Treubruchsprämien empfunden wird, enthüllen doch wohl die in den letzten Jahren immer häufiger gewordenen Gewaltlösungen, die oft ganze Familien auslöschen. Es sind wohl Taten am Recht Verzweifelnder in einem Bereich, wo die Empfindungen ohnehin leicht überschäumen“ (Süddeutsche Zeitung vom 5. April 1984).
Die Desinformationsstrategie der classe politique zum Anpreisen des „Jahrhundertwerks“ (1.EheRG) lässt sich bis in die sprachliche Formulierung erkennen, wie Professor Dr. Horst Albert Glaser unter der Überschrift aufzeigte: „Erschleichung von Folgerungen aus logisch falschen Begriffen“. Zu der sprachlich missglückten Eherechtsreform von 1977 sagte Hans Albert Glaser: „Die Ehescheidungsreform ist ja neben der Hochschulreform eine jener epochalen Taten, auf die sich Sozialdemokraten und Freidemokraten noch heute einiges zugute halten. Beide aber – darüber dürfte kein Zweifel bestehen – sind gründlich missglückt. Es gehört wohl zum Schicksal von Reformen in Deutschland, dass es um die reformierte Sache nachher schlimmer bestellt ist als vorher… (Folgerichtig) überrascht es einen Sprachwissenschaftler zu lesen, wie zwittrig und schillernd die Begriffe sind, mit denen von Verfechtern des geltenden Scheidungsfolgenrechts argumentiert wird. Lebenslänglicher Geschiedenenunterhalt wird verteidigt, indem auf die forthaftende Solidarität etwa der geschiedenen Ehegatten oder geschiedenen Partner füreinander verwiesen wird. Nun ist der Begriff des geschiedenen Ehegatten, der freilich schon im Gesetz steht, ein klassisches Oxymoron – ein Widerspruch in sich. Ein Geschiedener ist kein Ehegatte mehr und ein geschiedener Partner kein Partner. Es kann infolgedessen und logischerweise nicht erlaubt sein, eine forthaftende Solidarität für geschiedene „Ehegatten“ zu folgern. In der Logik nennt man solches Schlussverfahren eine Subreption – die Erschleichung von Folgerungen aus logisch falschen Prämissen oder Begriffen. Der „Ehegatte nach der Scheidung“, wie er in Paragraph 1569 des Bürgerlichen Gesetzbuches auftaucht, ist nicht viel mehr als eine juristische Kunstfigur, die es in Wirklichkeit nicht gibt. In Wirklichkeit kann der „Ehegatte nach der Scheidung“ bereits wieder verheirateter Ehegatte sein – verheiratet freilich mit einem anderen Ehegatten als demjenigen, für den er Ehegattenunterhalt zahlen muss.
Eine ähnliche Kunstfigur stellt der Begriff der „Folgelast gescheiterter Ehen“ dar, von der Familienrichterinnen gern sprechen. Die Bedürftigkeit, in die geschiedene Frauen und Männer geraten können, ist nicht eo ipso eine Folgelast ihrer gescheiterten Ehe. Haben sie die Ehe aus freien Stücken (etwa zum Zwecke der Selbstverwirklichung) verlassen, so ist ihre Bedürftigkeit auf die eigene Tat, aber nicht auf die Ehe zurückzuführen. An dieser Stelle – wie es getan wurde und wird – von Folgelasten oder gar von Solidarität der „Ehegatten“ zu sprechen, ergibt Nonsens. Wer die Solidargemeinschaft der Ehegatten zerstört, kann sie nicht nachher für sein Schicksal verantwortlich machen. Es gibt sie nicht mehr, so wenig wie den „Ehegatten nach der Scheidung“. Allfällige Unterhaltsklagen wären demgemäss als „unzustellbar“ zu behandeln.
(FAZ vom 1. September 1984).