Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Welche Absichten verfolgt susu?

susu, Sunday, 09.07.2006, 05:37 (vor 6657 Tagen) @ Nihilator

Dies war der Textteil

"Die Pekinger Weltfrauenkonferenz verabschiedete neben ihrem
umfangreichen Bericht auch eine sogenannte "Aktionsplattform", in der das
Gender Mainstreaming enthalten war ("an active and visible policy of
mainstreaming a gender perspective in all policies and programmes"). Fast
wäre das Projekt gescheitert, weil noch der Entwurf auch den Schutz der
"sexuellen Orientierung" verlangte, also der (weiblichen) Homosexualität -
hierfür war die Zustimmung des Vatikans und der meisten muslimischen sowie
der südamerikanischen Länder nicht zu erlangen."

in dem Du zu bemängeln hattest, daß nur "weibliche Homosexualität" genannt
wird. Was in diesem Zusammenhang Quatsch und an den Haaren herbeigezogen
ist.

Nicht wirklich, zumal auch das offizielle Dokument durchgehend von Männern und Frauen spricht. Schutz der "Sexuellen Orientierung" schließt sowohl Männer als auch Frauen ein und Betriff Homosexualität genau wie Bi- und Heterosexualität.

Das einzige, was Du zu tun hattest, war, zwanghaft an einem äußerst
bemerkenswerten Artikel (wann erscheint etwas derart Kritisches schon,
noch dazu in einem Blatt wie der FAZ?) herumzukritteln. Dies, weil Du
meintest, die "Queer Theory" in Schutz nehmen zu müssen.

Nicht nur die, sondern auch eben "meine Leute". Der Artikel ist so gabaut, daß er das Gefühl erzeugt, es gäbe eine geheime Verschwörung von Schwulen, Lesben und Transen, die Europa regiert. Und wenn du dir anschaust, wie das Aufgenommen wurde, dann hat der Artikel eben genau das bewirkt, was ich befürchtet habe: Ein Feindbild. Und wenn du dir vor Augen führst, daß ich da rein gehöre und das solche Gewalttaten, wie ich sie beschrieben habe, so selten nicht sind, dann must du mir zugestehen, das ich sensibel reagiere. Es gibt genug Homo- und Transphobie, sie muß nicht auch noch angestachelt werden.

Nun, es gibt eindeutig Zusammenhänge zwischen beidem. Wenn GM in Deinen
Augen verfehlte oder mißbrauchte QT ist, hättest Du das auch darstellen
können, ohne den Artikel zu verreißen.

Das fällt schwer, weil der Artikel einfach unglaublich viele sachliche Fehler enthält und da wo er die Wahrheit sagt extrem selektiert. Und ich sehe zwischen GM und QT eigentlich gar keine Zusammenhänge. In dem Artikel geht das über Hölzchen und Stöckchen, aber im Grunde hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

Ich finde da keine direkte Verbindung, Zastrow bezeichnet die Queer Theory als "Fortentwicklung" des "Gender-Begriffs", was halb stimmt. Denn es ist tatsächlich eine Fort- und keine Weiterentwicklung, Judith Butlers "gender trouble" ist vor allem anderen eine Kritik des Gender-Begriffs, der bis dahin die feministische Literatur durchzog und der jetzt Grundlage von GM ist. Die Reaktion der "alten Garde" war dementsprechend. Butler stellt Konzepte radikal in Frage, die die Grundlage von allem bilden, was die "2. Welle" so in die Welt gesetzt hat. "Männer unterdrücken Frauen" - nein, sagt Butler. Vielmehr halten sich Männer und Frauen in wechselseitiger Abhängigkeit, die von Frauen als Unterdrückung durch Männer und von Männern als Unterdrückung durch Frauen empfunden wird. So eine Aussage mag hier einigen als problematisch erscheinen, aber man denke sich mal in eine A.S. rein. 30 jahre EMMA und da kommt eine und erklärt es gäbe das Patriarchat gar nicht.

GM fragt in allen Bereichen "sind Männer oder Frauen benachteiligt?". Nach der QT geht immer nur und (es gibt da wenige Ausnahmen).

In der Tat, Deine Antwort hatte ich noch nicht gesehen.

Die von Dir genannten Fälle homophober (?) Gewalttaten kannte ich nicht.
Ich finde das todtraurig.

Transphob in den meisten Fällen.

Ich halte es aber andererseits für möglich, daß Menschen Toleranz und
Verständnis für Homo- und Intersexuelle aufbringen können, ohne daß man
ihnen dafür ihre eigene geschlechtliche Identität aberziehen muß. Dies ist
ein Irrweg! Aufklärung wäre stattdessen wichtig.

Richtig, aber die Beginnt nun mal mit "Es gibt nicht nur Männer und Frauen"...

Eine Gruppe, mit der ich in Freundschaft verbunden bin schreibt das so:
"Das binäre Geschlechtersystem, wie es in unserer Gesellschaft gelebt und gefordert wird, lehnen wir als Zwangssystem ab.

Theoretisch einfach, praktisch nicht: Denn andererseits wollen wir diejenigen unterstützen, für die diese Unterscheidung ganz besonders wichtig ist. Und zwar aus dem gleichen Grund: weil sie von der Gesellschaft entgegen ihrem eigenen Empfinden auf eine nicht passende Geschlechterrolle festgelegt werden."

Und ich sehe das so wie Foucault (nach dem Gedächtnis): Philosophie soll den Menschen nicht mehr sagen, wie sie zu denken haben, sondern ihnen aufzeigen, daß man auch anders denken könnte. Nicht "Du mußt", sondern "Du kannst".

Übrigens paßt Reimer überhaupt nicht zu den anderen Personen. Sein Fall
ist ja komplett anders gelagert.
Ich muß Dir recht geben, daß das Verbrechen an Reimer mit einer Welt
ursächlich zusammenhängt, die eine bedingungslose Dichotomie vertritt. Das
ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere ist der Glaube,
geschlechtlichen Determinismus gäbe es nicht und alles ist anerziehbar.
Wenn ich nicht irre, hängst auch Du dem an.

Nein. Das entspringt der Verwechslung von Sozialisation und sozialer Konstruktion. Letzteres hat etwas damit zu tun, wie wir die Welt wahrnehmen, nicht damit, wie die Welt ist. Ich glaube nicht, das alles anerziehbar ist (wobei ich biologischen Determinismus auch ablehne). Für mich gibt es immer noch einen Faktor, der bei der der Ganzen Kultur/natur Debatte völlig übersehen wird und das ist der Wille des Individuums (um den Begriff mal zu benutzen, es würde jetzt zu weit in die Philosophie führen, wenn ich die Bedeutung aus meiner Sicht genau schildern würde, in jedem Fall: Es gibt Dinge die weder angeboren, noch anerzogen sind).

Ich glaube, daß Sozialisation Individuen unterschiedlich stark beeinflussen kann und das wir tatsächlich auf der Ebene von Gesellschaften Sozialisationseffekte sehen können. Studienfachwahlen spiegeln so etwas wieder, ohne das man bei einzenen Personen sagen könnte: Du studierst Byzantinistik, weil deine Eltern... Genau wie ich hydrodynamisch das Wasser in einem Bach beschreiben kann, ohne mir Gedanken über die Interaktion der einzelnen Atome machen zu müssen.

Ich denke, unsere Gesellschaft hätte noch einiges zu erledigen, was
Akzeptanz von Homosexuellen als auch besonders Intersexuellen angeht. An
einem möglichen "I" oder "Z" im Reisepaß oder Ausweis außer den üblichen
"M" und "W" würden wir sicher nicht kaputtgehen. Bei den Toiletten müßten
sich die Betreffenden allerdings schon entscheiden...

Oder wir führen Geschlechtsneutrale Toiletten ein. Wenn in einem Restaurant ein Klo defekt ist, geht die Welt auch nicht unter. Einen Schock erlitt ich 2001 als - wenn ich mich Recht entsinne - Swiss Air mehrere Linienflugzeuge für teuer Geld umbauen ließ, damit es Herren- und Damenflugzeugtoilleten gäbe.

Allerdings muß ich auch sagen, daß die Ansätze, wie sie von lesbischen
Feministinnen verfolgt werden und in GM kulminieren, in allerhöchstem Maße
kontraproduktiv sein werden! Akzeptanz erreicht man nicht, wenn Menschen
sich im Innersten bedroht fühlen. Ich muß zugeben, daß die Kenntnis der
verhetzenden Geistesergüsse von Dworkin, Schwarzer und co. (die Du ja auch
von Ottilie Normallesbe vernehmen kannst) meine warmen Gefühle für
weibliche Homosexuelle merklich abgekühlt haben. Angehöriger einer
Minderheit zu sein rechtfertigt Faschismus ebensowenig wie das Gegenteil!

Da stimme ich dir zu. Aber es gibt überall bescheuerte. Ob jetzt die "Normallesbe" das teilt, ich kann da keine Repräsentativen Daten liefern. Dworkin mochte ja "The transsexual empire" und auch Alice war davon ganz angetan (Das erste Posting auf das ich auf dem original EMMA antwortete war eine Lobhudelei auf dieses Machwerk - wurde gelöscht). Das ist ein Generationending und ein Bildungsding.

Ich weiß nicht, ob Du nachempfinden kannst, daß für die meisten Menschen
ihre geschlechtliche Identität wichtig und untrennbar mit ihrer
Persönlichkeit verbunden ist? Dies zu einem "gesellschaftlichen Konstrukt"
umzulügen kann freilich Aggressionen auslösen.

Ich kann das nachvollziehen, aber es ist und bleibt ein soziales Konstrukt. Das ist an und für sich nichts schlimmes, soziale Konstrukte sind oft prima und sogar notwendig. Nur wenn darüber nicht geredet werden darf, daß es ein Konstrukt ist, dann habe ich damit Probleme.

susu


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