Emma 1986 Heft Nr.2
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Wenn wir wirklich wollen, daß es unsere Töchter einmal leichter haben, müssen wir es unseren Söhnen schwer machen. Auch wenn es weh tut. Sagt die Mutter zweier Töchter und eines Sohnes.
Was geschieht mit kleinen Mädchen?, fragen sich Feministinnen seit Jahren und haben für eine möglichst unterschiedlose Sozialisation von männlichen und weiblichen Kindern plädiert. Was geschieht aber eigentlich mit den kleinen Jungen? Viel zu wenig, meine ich. Selbst wenn wir aus unseren Töchtern Super-Amazonen machen, werden sie sich an diesen Söhnen – ihren „Brüdern“ – die Zähne ausbeißen und von ihnen nicht weniger Unterdrückung erfahren als wir von ihren Vätern.
Marianne Grabrucker beschreibt in ihrem Buch „Typisch Mädchen“ minuziös anhand Tagebuchaufzeichnungen über das Leben ihrer kleinen Tochter Anneli, wie es passiert, daß aus einem ganz normalen Baby ein Mädchen gemacht wird. Frau möchte manchmal dazwischenhauen, schreien, den Kopf schütteln, dieses Kind nehmen und woanders hinbringen, weg von diesen Leuten, die es mit Frisuren und Puppen (das ist nur das Grobe) überhäufen. Dabei hat dieses Kind eine Feministin zur Mutter und wächst in einer durchaus als „fortschrittlich“ zu bezeichnenden Umgebung auf, die auf eine sexistische Erziehung verzichten möchte.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß Mutter Grabrucker nun weder eine miese Feministin ist, noch eine Mama mit einem Mädchentick. Im Gegenteil. Nervig und ehrlich beschreibt sie nicht nur wie, sondern vor allem auch wer die mädchenspezifische (Unterdrückungs-) Erziehung vollbringt: Umwelt, Familie, Fremde, Freunde, kleine Jungen und eben auch die Mutter. Ob sie will oder nicht. Denn auch bei den Kindern der Feministinnen fällt der Apfel eben nicht weit vom Baum, und wir alle sind ja nicht gerade als feministische Apfelbäuminnen herangezogen worden…
Selbstverständlich bin ich nicht mit allem einverstanden, was der kleinen Anneli in diesem entsetzlich deutlichen Buch widerfährt. Marianne Grabruckers Verdienst ist es, einmal haarklein aufzuführen, welche Anforderungen an das kleine Kind gestellt werden: Anforderungen, die es vor allem zu einem „typischen Mädchen“ machen sollen – ja, und Anforderungen der alternativen, dem Feminismus zugeneigten Erwachsenen – auch noch ein angenehmer „Junge“ zu werden. Da wird frau ganz irre. Trauer, Wut und Machtlosigkeit steigen hoch. Können wir nichts ausrichten?
Doch. Aber es sollten nicht wieder die Töchter sein, die alles ausbaden müssen, denen die widersprüchlichsten Anpassungsleistungen abverlangt werden. „Die Frauen und Mütter sollen sich in erster Linie um ihr Wohlergehen, ihren Status kümmern (ihren eigenen!). Es gilt nicht, für sich selbst zu verzichten, zu resignieren, und alle Hoffnungen und Wünsche in die nächste zu erziehende Generation von Mädchen zu setzen“, schlußfolgert Marianne Grabrucker. Und besteht darauf: „Ändern kann sich nur dann etwas, wenn die kleinen Buben endlich mit anderen Frauen konfrontiert werden, mit Stärke, Selbstbewußtsein, sicherer, überlegener Klugheit. Sie dürfen nicht mehr die kleinen Mädchen als die zukünftigen, wenig beachteten oder verachteten Frauen fühlen und sehen.“
Das ist das eine: Mädchen und Jungen registrieren genau, wie ihre Mütter und deren Freundinnen sich verhalten. Nicht, wie sie sein wollen oder was sie wollen, sondern wie und was sie sind! Da nutzt die schönste Theorie nichts, wenn Muttern bei jeder Reparatur nach einem Mann schreit.
Marianne Grabrucker geht noch weiter. Nicht wir (und unsere Töchter) allein sollten uns in die Pflicht nehmen lassen, weibliche und männliche Rollen ausüben zu können, virtuos, als sei es selbstverständlich (Puppen und Eisenbahn, Kleid und Hose, Chefin und Mutter), sondern vor allem ist jetzt mal die Herrenseite der Schöpfung dran, zu zeigen, was sie kann: Sie (die Buben) müssen zurückstecken lernen, verunsichert werden, sich in sich selbst und ihrer bisherigen männlichen Rolle in Frage stellen lassen. (…) Den kleinen Buben soll der kalte Wind um die Nase blasen, sie haben den kleinen Mädchen Platz zu machen. (…) Nur so besteht die Chance, daß sich die Geschlechter beim Aufwachsen halbwegs entgegenkommen und nicht bereits innerhalb dieses Prozesses eine die Mädchen erdrückende Dominanz der Buben besteht. Die Frauen können auf diese Weise selbstbewußter, freier und die Männer zurückhaltender, sensibler werden.“
Schluck. Ich kann mir nicht verkneifen, zu denken, daß nur eine „Tochter-Mutter“ solche klaren Schlüsse ziehen kann. Ich weiß zu gut von mir selbst – und ich danke allen Göttinnen und Göttern, daß ich nicht nur Söhne habe!!! -, daß ich alle diese Klarheiten in meinem Kopf haben kann, und dann kommt das schlechte Gewissen (der kleine Sohn muß die Emanzipation der Mutter ausbaden)! Und dies ist auch manchmal ein ganz praktisch begründbares schlechtes Gewissen, weil die (starke?) Frau/Mutter ja erwachsen ist und der Sohn klein. Weil eben diese Widersprüchlichkeit im wirklichen Leben nichts von der Spannung und Richtigkeit einer Theorie an sich hat, sondern überhaupt nicht witzig ist, aber böse, brutal, traurig macht und Leid mit sich bringt.
Meine Töchter sind heute zehn und dreieinhalb Jahre alt (mein Sohn ist acht). Ich bin eindeutig immer die dominante Person in allen Familienkonstellationen gewesen, die wir zusammen erlebt haben (Ehe, Scheidung, „offene Kleinfamilie“, Wohngemeinschaft).
Meine große Tochter ist ein äußerst selbstbewußtes und starkes Kind. Sie kann die verschiedenen Rollen spielen, sich auf Leute einstellen, lieb und „typisch Mädchen“ sein (mittlerweile auch dem Barbiepuppenspiel und dem Poesiealbum frönen). Aber sie kann auch anderes, und ich bilde mir ein, das ist ihre wichtigere Seite: Sie läßt sich nichts gefallen, kann sehr böse und wütend sein, ist von sich eingenommen, sie kann befehlen, bestimmen und Leute ausnutzen und traut sich fast alles zu. Sie glänzt inder Schule (auch im Sport), hat Interesse für Technik, Politik, Abenteuer – und für Musik, Malen, Lesen, Pferdemädchenbücher. Sie ist sozusagen die Traumtochter einer feministischen Mutter. Aber: Ich möchte diese Zeit mit ihr nicht noch einmal erleben!! Meine wunderbare Tochter, was hat sie mich fertig gemacht! Sie hat geschlagen, war aggressiv und bockig. Sie ist nach wie vor die größte Schlampe unter der Sonne. Sie hat alle ihre Machtspielchen, die sie heute so stark machen, zuerst an mir ausprobiert. Und ohne Kindergarten und vielfachen Mutterersatz wäre ich an diesem Kind zur Hölle gefahren! Wir (es war wirklich beidseitig) haben uns geschlagen (ich bin auch so eine Mutter, die ihre Kinder nicht schlagen wollte).
Wir fetzen uns auch heute noch manchmal so, daß buchstäblich die Wände wackeln. In einem linken Alternativkindergarten wurde sie nicht aufgenommen, „weil Mädchen, die schlagen, von den anderen Mädchen gefürchtet und von den Jungen nicht anerkannt werden“. Sie hatte bis ins zweite Schuljahr keine dauerhaften Freundschaften und hat darunter gelitten. Sie war bis ins gleiche Alter völlig uninteressiert an ihrem Aussehen. Sie hat enorm vielseitige Interessen, und sie ist fest davor überzeugt, daß sie fast alles kann, wenn sie nur will, und sie kann eben beinahe alles, was sie anfaßt. Im Nachhinein liest sich und ist das sehr positiv.
Ich erkläre mir diese Entwicklung nicht nur aus den Familien-Macht-Verhältnissen, die sie erlebt hat. Äußerst wichtig erscheint mir, daß sie nicht nur mich – die Mutter – sondern von Anfang an viele „Bezugspersonen“ hatte. Ich arbeitete als Nachtwache in einem Krankenhaus und sie war ab dem Alter von drei Monaten abwechselnd tags und nachts bei mir, ihrem Vater oder einer Oma und zu allem Überfluß noch oft bei wechselnden „fremden“ Leuten.
Dieses Kind hat, bis sie etwa vier Jahre alt war, mit Ausnahme ihrer Oma nie Frauen (und Mütter) erlebt, die sich in erster Linie um Babies oder Kinder gekümmert haben. Diese Frauen waren nicht nur berufstätig, sondern auch noch politisch aktiv, was bekanntlich einem zweiten Job entspricht. Und diese Tochter hat von allein das erste Mal mit etwa vier Jahren mit Puppen gespielt (obwohl ich ihr zum zweiten Geburtstag eine geschenkt habe, und sie im Kindergarten auch damit konfrontiert wurde). Bei ihrer Oma hat sie regelmäßig eine traditionell-konservative Mädchenerziehung „genossen“ mit Kleidchen, Püppchen, Pflegen, Nagellack und Knicks. Dennoch ist sie darauf nicht abgefahren. Sie hat eben sehr Verschiedenes erlebt – auch an Frauenlebensmöglichkeiten.
Es gab für diese „Erziehung“ Gründe, die nichts mit dem Kind zu tun hatten: Ich mußte arbeiten, ich war politisch organisiert, ich mußte Geld heranschaffen, ich lebte in Scheidung und hatte Schichtdienst. Vielleicht geht diese Geschichte deshalb (vorerst) gut aus. Trotz der fürchterlichen Kämpfe, die wir ausgestanden haben. Sie hat verschiedene Frauen (und Männer) erlebt. Das war bestimmt nicht einfach. Aber sie wurde nicht deshalb in einen Wirrwarr von Erfahrungen geschubst, weil ich in erster Linie verhindern wollte, daß sie ein „typisches Mädchen“ wird. Es gab keine theoretischen Gründe, sondern widersprüchliche Praxis. Dennoch bin ich heute der Meinung, daß sie genauso ein Mädchen ist, von dem wir (Erwachsenen) schier Unmögliches verlangt haben. „In der Mädchenerziehung wird experimentiert. Auf dieser Suche werden Mädchen mit den zwei für beide Geschlechter vorgegebenen „Welten“ konfrontiert, und zwar in der Weise, daß sie sich in beiden Welten wohlzufühlen haben, sich auskennen und ihren Anforderungen gerecht werden müssen“, schreibt Marianne Grabrucker. Und fordert zu mehr Solidarität mit den Mädchen auf.
Die hatte ich lange nicht. Je mehr ich über mädchenspezifische Sozialisation las und erfuhr, desto mehr ging mir die Solidarität mit diesem Kind ab. „Was will sie eigentlich, diese Kratzbürste? So gut wie die hatte ich es nie! Ihr steht doch alles offen! Sie hat doch so viele Möglichkeiten, warum sucht sie sich genau die aus, die ich nicht mag (Aggressivität zum Beispiel)? Sie soll sich nicht so anstellen, da mußten wir (Frauen) alle durch!“ So und ähnlich lassen sich meine „schwesterlichen“ Gefühle zur eigenen Tochter für einen langen Zeitraum beschreiben.
„Machen wir uns um die Psyche der Mädchen deshalb weniger Gedanken, weil es wieder mal Mädchen, Wesen wie wir, sind? Weil für sie nichts anderes gelten kann als für uns?“, fragt Marianne Grabrucker in ihrem Buch. Bestimmt hat sie recht. Üblicherweise haben wir für unsere Töchter viele Pläne, Wünsche, Hoffnungen, und bei den Söhnen tut sich ein großes schwarzes Loch auf.
Wir beschreiben meist nur, wie sie nicht werden sollen (brutal, mackerig, Vergewaltiger). Es wird nicht experimentiert von uns Müttern mit dem männlichen Nachwuchs, wir lassen ihn nach wie vor in einer „Treibhausluft für das Aufwachsen kleiner Buben“ leben (Grabrucker). Wir ziehen ihnen keine Kleider an – Mädchen hingegen müssen heute beides tragen (wollen): Hosen und Kleidchen. Und wir sind oft solidarischer und empfindsamer, wenn es um die Psyche der kleinen Prinzen geht…
Gleich mit der Tür ins Haus: Mein Sohn ist im wahrsten Sinne des Wortes ein „verunsichertes“ Kind. Es geht mir nahe, ihn zu beschreiben, weil ich diese Gratwanderung, Feministin und Mutter eines Sohnes zu sein, nur schwer durchstehe und noch schwerer ehrlich beschreiben kann. Spätestens seit er etwa drei Jahre alt ist und – krass ausgedrückt – entweder Mackerverhalten versucht oder Macken ausprobiert (die verschiedensten hinreichend bekannten Entwicklungsstörungen für verunsicherte Kinder, wie Bettnässen, nervöse Ekzeme, Ticks, Sich-total-Zurückziehen).
Ich versuche, auch auf dieses Kind einzugehen. Kompromisse zu schließen. Habe ihn also zum Beispiel auch „Junge sein lassen“, sprich: Krieg spielen mit anderen Jungens. Feuer auspissen und so weiter. Bettnässer ist er heute noch. Und er weiß wahrscheinlich genau so wenig wie seine Schwestern bescheid, wo’s lang geht. Dennoch geht es ihm schlechter als seinen Schwestern, und das muß auch so sein: Ihm wird etwas genommen, was ihm in unserer Gesellschaft „natürlicherweise“ zusteht – daß er, und sei es in einem noch so kleinen Umfeld, Chef, Herr, Mann sein kann.
Theoretisch ist der notwendige „Abstieg“ der kleinen Jungen in die Gefilde der weiblichen Rollen sonnenklar. Aber es geht verdammt nahe, wenn es das eigene Kind ist, das auf die wirklichen und sogenannten Privilegien der Männerwelt verzichten soll. Auch wenn er – dies gehört zu den spannenden und angsterregenden Erfahrungen, einen Sohn zu haben – mir mit zunehmendem Alter fremder und distanzierter erscheint und letztendlich in dieser Welt doch immer noch mehr Chancen hat als die feministische Supertochter.
Ich finde es sehr schwer, viel schwerer, als Feministin zu sein und Töchter zu haben, Feministin und Mutter eines Sohnes zu sein. Weil ich eben bei fast keiner Sache, die den Sohn stark macht, Solidarität zeigen kann und/oder fühle. Überspitzt gesagt: Die Entwicklung der Töchter zur Frau schafft mir gelegentlich Konkurrenz- und Neidgefühle. Die Entwicklung des Sohnes zum Mann bedroht mich existentiell.
Da möchte ich, ehrlich gesagt, nicht Kind sein. Mutter auch nicht unbedingt, aber das ist wenigstens auch spannend.
Es fällt mir leider keine Friede – Freude – Eierkuchen -Lösung ein in dieser Situation. Selbstverständlich ist mein Sohn ein wunderbarer Junge: er ist in vielen Verhaltensweisen eben genau so, wie ich es mir wünsche: Schön ist er, verträumt, phantasievoll, vorsichtig, zärtlich, unsicher. Er stellt vieles in Frage, ist klug, erfindet Traumwelten und Fragestellungen, die mich manchmal umhauen.
Nur: Kaum eine seiner wunderbaren Eigenschaften wird toleriert oder gar honoriert von der Umwelt, die er wichtig findet, nämlich den Männern! Er wird (auch von Vätern, Freunden und den erwachsenen Freunden, diesen netten, dem Feminismus doch so zugetanen Männern!) schlicht und einfach nicht ernst genommen, gehänselt, gerügt, verlacht. Tausend Mal hat er zu hören gekriegt: „Du spinnst. Du träumst zu viel! Wehr dich! Wenn du’n anständiger Kerl sein willst, dann schaff es allein! Sei doch nicht so mädchenhaft!“
Da stehst du machtlos da. Ich kenne noch einen Jungen, der ähnlich aufgewachsen ist wie mein Sohn. Der auch mit Puppen spielt, sanft ist, nicht gern rauft, sich angenehm und zärtlich mit kleineren Kindern beschäftigen kann. Auch dieser Junge hat ähnliche „Macken“ wie mein Sohn, er ist Bettnässer und neigt zum Stottern.
Ich bin der festen Überzeugung, daß dieses Leid – ich denke, daß es eine schmerzhafte Erfahrung ist, weder von Frauen noch von Männern richtig akzeptiert zu werden – für Söhne wie den meinen leichter zu ertragen wäre, hätten sie mehr Verständnis und Solidarität ihrer Väter und Geschlechtsgenossen. Wirkliche Solidarität, die diesen Widerspruch versteht und anerkennt, nicht Männerkumpanei und das Nichtannehmen dieser Söhne, die ihnen (den Erwachsenen) wahrscheinlich allzu deutlich machen, um was es geht, wenn sie angeblich dafür sind, daß Frauen die gleichen Rechte haben sollen wie Männer.
Und trotzdem: Wir müssen den Söhnen die Privilegien nehmen! Wir können nicht Männermacht bekämpfen und die Augen vor den eigenen Söhnen verschließen. Wir haben keine neutralen Wesen an unseren alternativen Busen genährt, sondern die Patriarchen von morgen, wenn wir ihnen diese Sicherheit nicht rauben – ganz persönlich. Wir müssen unseren männlichen Kindern etwas wegnehmen, sie unterdrücken. Das tut weh.
Praktisch heißt das zum Beispiel: „Solange es also die Mutter entsetzt ablehnt, ihrem Sohn die Nachthemden der älteren Schwester anzuziehen, obwohl sie ja noch so schön sind, wird sich bei den Männern nichts ändern. Solange Anneli stolz darauf ist, abgelegte Kleidung vom älteren Martin tragen zu dürfen, wird sich auch an ihren doppelten Anstrengungen, eine Frau und trotzdem so toll wie ein Mann zu sein, nichts ändern.“ (Marianne Grabrucker)
Und es kann nicht oft genug wiederholt werden: Kinder lernen weniger von unseren Absichtserklärungen und theoretischen Einsichten als aus unserem ganz praktischen Verhalten, das sie konkret erleben. Meine kleine Tochter zum Beispiel, inzwischen vier, ist beinahe ein „typisches Mädchen“, und das, obgleich meine (Mutter)Rolle bei keinem der anderen Kinder so hinterfragt und allseitig beleuchtet wurde wie bei ihr. Von der Theorie her war bei ihr alles klar: Ich habe mehr als bei den größeren als starke, selbstbestimmte und eigenen Interessen nachgehende und durchboxende Frau gelebt. Ich habe mit ihrem Vater eine gleichberechtigtere und mich weniger unterdrückende Beziehung als in der Ehe mit dem Vater der größeren Kinder. Sie hat, seit sie eineinhalb Jahre alt ist, eine Kinderkrippe besucht, die – welche Rarität! – eine Erzieherin und einen Erzieher aufweisen konnte. Sie hat eine dominante ältere Schwester und einen zärtlichen älteren Bruder. Ich hatte mich zum Zeitpunkt ihrer Geburt von der „sich – für – Frauenfragen -auch – interessierenden -Genossin“ zur Feministin, Frauenprojektmitarbeiterin und EMMA-Autorin entwickelt. Hatte mittlerweile zum Thema „sexistische Erziehung“ Veranstaltungen gemacht und flammende Reden gehalten. Die Weichen waren also gestellt für eine feministische Superbrumme.
Und? Ein „richtiges Mädchen“ ist sie, die Kleine. Sie legt Wert auf Kleidung und Frisur. Sie schminkt sich mit Wonne. Spielt mit Vorliebe Puppen. Sie wehrt sich nicht, sie heult lieber. Sie flirtet und umschmust alle Leute, ist ein regelrechter „Wonneproppen“ und Liebling aller Erwachsenen (und Schulkinder). Was ist da passiert?
Einige Erklärungsversuche: Die kleine Tochter hat zum Beispiel einen Vater, der sie als „Mädchen“ vergöttert, er wünschte sich unbedingt eine Tochter. Eine weitere Erklärung ist vielleicht auch, daß mein Freundinnenumfeld zwar feministisch angehaucht oder interessiert ist, aber eben auch durchwachsen mit stillenden, fanatisch-glücklich-unglücklichen Müttern, die ihre Nachkommen zumindest zeitweise als Gipfel der Gattung Mensch bestaunen und bedienen. Dazu kommt, daß dieses Kind eben das Nesthäkchen in unserer „Familie“ ist: vom ersten Tag an brauchte sie nur einen Laut von sich geben und irgendein Mensch kümmerte sich um sie.
Ja. Aber vor allem: Ich habe im ersten Jahr ihres Lebens nicht außerhäuslich gearbeitet. Ich habe sie über ein Jahr lang gestillt. Ich war allermeistens da. Zwar habe ich auch zu Hause stramm gearbeitet, geschrieben. Hausarbeit. Studienvorbereitungen. Ich wollte endlich ein bißchen Ruhe und Gelassenheit (und konnte es mir aufgrund des damals halbjährigen Mutterschaftsurlaubes erlauben), auch auf die Gefahr hin, daß die junge Dame eine falsche Vorstellung vom Muttersein erhält. Ich wollte vor allem meine Sachen durchziehen, fing an zu studieren. Das Kind lief eher nebenbei (wobei das lange Stillen von ihr durchgeboxt wurde).
Ich habe allerdings auch keine große Angst, daß ich nun eine künftige Barbarella oder Mutterkreuz-Anwärterin heranziehe. Sie wird schon noch so einiges merken. Auch noch mit drei oder vier Jahren. Zum Beispiel, daß ich es bin, die mindestens die gleichen Sterne vom Himmel holt wie ihr Vater (ich bin jetzt viel nicht da, verdiene Geld, habe einen Beruf, schleppe interessante Leute an, mache, was ich will). Und ich fühle mich auch nicht alleinverantwortlich dafür, wie sie wird. Ich habe an den größeren Kindern gelernt, daß tausend Einflüsse außer der Mutter die Kinder genauso prägen. Warum soll ich dann Kopfstand an der Wand machen? Aber: Völlig machtlos sind wir auch nicht. Wir tragen zumindest die Verantwortung für unser eigenes Leben. Ob wir Sterne vom Himmel holen oder es mal wieder den Töchtern wünschen und die Söhne machen lassen. Insofern tragen Mütter auch an der sexistischen Unterdrückung der Töchter ihren Teil bei. Und die Töchter mancher dieser Mütter von heute, die permanent alles richtig machen wollen und ihren Kindern noch im Schulalter die Scheiße vom Hintern wischen – diese Töchter haben das schwerste Erbe.
Lieber gar nicht da sein, als immer da sein – das wäre doch mal eine Veränderung, bei der Töchter und Söhne etwas lernten. Jedenfalls fängt die Veränderung bei uns an, und was die nächste Generation daraus machen kann, das hängt auch von unserer Wirklichkeit ab. Und wenn wir dann noch Kraft haben, dann sollten wir uns üben in der Solidarität mit den Töchtern, unseren Schwestern von morgen: praktische Solidarität. Die sich, notgedrungen, oft genug gegen ihre Brüder richtet. Es gibt keinen Weg dazwischen. Harmonie ist gelogen. Es fängt ganz unten an. Je besser es uns (Frauen) geht, desto schlechter fühlen sich meist die dazugehörigen Männer (eine alte Weisheit aus dem Frauenstammtisch). Ich vermute, daß ich – Feministin hin oder her- dennoch nicht in der Lage wäre, die Entwicklung meines Sohnes zu einem Versager in der Männerwelt tagtäglich zu beobachten – wenn ich nicht zwei Töchter hätte. Das macht es leichter. Ich sehe eben tagtäglich auch die Schmerzen, die es kostet, ein Mädchen zu werden und zu sein.
MARIA MAGDALENA ROUSSEAU
P.S.: Weil ich so furchtbar realistisch bin, ist dieser Name natürlich erfunden. Weil ich nämlich weiß, was alleinerziehenden Müttern, die „geschädigte“ Söhne erziehen und lauthals verkünden, dies sei feministisch und Absicht, einige hundert Jahre nach den großen Hexenverfolgungen blühen kann. Weil ich zum Beispiel das Sorgerecht behalten will. Und. Und. Und.
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