Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Gedankenlosigkeit?

Rüdiger, Tuesday, 04.01.2005, 22:38 (vor 7454 Tagen) @ ein weiterer Andreas

Als Antwort auf: Re: Hybride Dekadenz von ein weiterer Andreas am 04. Januar 2005 19:17:04:

Unter anderen berichtet sie über einen Austausch mit einer russischen Soldatin. Die Russin hat sich darüber mokiert, daß die deutschen Frauen so wenig Kinder hätten. Das sei ihr alles sehr verwunderlich. Die russischen Frauen hätten alle mehrere Kinder und das verstünde sich denen von selbst.
Da haben wir es wieder. Die natürliche, ganz selbstverständliche Einstellung zu Leben hier, die überkünstelte Entfremdung und Verzagung da.
Wenn Menschen nach Gründen für Kinder suchen, das Für und Wider erwägen, dann ist die Sache schon verloren. Dann blickt schon ein kaltes rationales, egozentrisches Gedankengebilde auf einen Lebensprozeß.

Mag ja sein. Ich find ja Kinder auch schön und gut, aber dennoch können wir den Menschen schlecht verbieten, sich darüber Gedanken zu machen, ob sie welche wollen. Wir Menschen sind ja nicht wie die Tiere völlig unseren Instinkten oder Trieben ausgeliefert, sondern können ÜBERLEGT WÄHLEN, wie wir uns dazu verhalten wollen, das erhebt uns ja über die Tiere. Siehe folgender Textauszug, geschrieben Mitte der 80er Jahre:

"Für viele gehören sie einfach dazu, die lieben Kleinen. Man kriegt sie ebenso bedenkenlos, wie man sie später ohrfeigt oder ohrfeigen möchte. (...) Diesen Eltern fehlt etwas ohne Kinder, sie gehören dazu. Bei wem sie nicht existieren, der macht sich verdächtig, der ist unvollkommen, oder es klappt nicht.

Fast ohne Ironie will ich solche Eltern als glückliche bezeichnen, wenngleich ich mit diesem Glück nicht tauschen möchte. Es ist mir doch ein wenig zu dumpf. SCHLIESSLICH BIN ICH NICHT AUF DER WELT, UM ALLES ZU AKZEPTIEREN, WAS ES SO GIBT. (...) Das allgemeine Akzeptieren dessen, was man vor die Nase gesetzt bekommt, ist eine ganz abscheuliche Willfährigkeit, ganz egal ob das Politiker sind, (...) Steuern oder Videokunst, Hausfassaden oder raketenförmige Autos, von den echten Raketen ganz zu schweigen. Weil man gar nicht weit genug gehen kann in seiner Ablehnung, akzeptiere ich nicht nur nicht die geplante Computerkennkarte, das tut ja mittlerweile schon jeder, ich akzeptiere noch nicht einmal die Schrift auf dem heutigen Reisepaß, die sich vor Jahren irgendein gelangweilter Bundesgrafiker einfallen ließ, obwohl doch der alte Schrifttyp hübscher war. Ebensowenig findet das seit etwa zehn Jahren kursierende Fünfmarkstück vor meinen Augen Gnade. (...) Das ist weniger krankhafter Skeptizismus, das ist gesündester Krämergeist: Kein Käufer akzeptiert den Preis, den der Verkäufer zunächst nennt. Und wer sagt, es sei kindisch, alles abzulehnen, dem stimme ich bei, denn er führt mich zum Thema zurück: Erst einmal nein zu sagen, ist kindisch, aber auch gut.

Den Fortpflanzungstrieb unüberlegt als von Gott oder sonst jemand gewollte Selbstverständlichkeit hinzunehmen, finde ich beschämend gedankenlos. Als halbwegs denkender Mensch erwarte ich vom Kinderhaben mehr als nur die Befriedigung eines angeblichen Triebes. Wenn ich mich schon weniger in Kneipen und Cafés herumtreiben kann, möchte ich als Entschädigung nicht nur sanfte Penatencremedüfte.

Worin der VORTEIL vom Kinderhaben liegen sollte, war mir nicht klar. Alle kinderkriegenden Frauen und Freundinnen verwandelten sich nämlich in abgehetzte Geschöpfe, die das Wort "Streß" noch häufiger und japsender im Munde führten als der Rest der Bevölkerung. Sie sprachen keinen Gedanken mehr zu Ende aus und hörten keinem mehr zu Ende zu, weil ihre Augen ständig ihren Babys hinterherzuckten.

Meine wohlüberlegte Kindesablehnung erfuhr ihren ersten Knacks in einem Café, [wo ihm von einem markerschütternd kreischenden Kleinkind ein im Entstehen begriffener Essay im wahrsten Sinne des Wortes ZERBRÜLLT wurde, die Gedankengänge waren futsch, aber - so entdeckte er - das war kein Grund zur Trauer:]

Seither weiß ich, daß das ärgste Kindergeplärr besser ist als hysterische Poetenblicke. Seither kann ich Kindern vieles abgewinnen. Nicht nur das trotzige NEIN habe ich von ihnen gelernt. Wenn ich meine Erkenntnisse kurz zusammenfassen darf: Genau das, was auch von kinderfreundlichen Leuten GEGEN Kinder vorgebracht wird, spricht FÜR sie.

Sie sorgen dafür, daß man zu nichts kommt, und das ist gut so; denn das meiste, zu dem man kommen will, ist sowieso nicht der Mühe wert. Mit ihrem Geschrei, wenn es nur laut genug ist, verhindern sie die Karrieren ihrer Eltern, was kein Schaden ist. Sie sind laut, zerstörerisch und unordentlich und sorgen so für die Demontage der preußischen Begriffe von Ruhe und Ordnung, wofür ihnen höchster Dank gebührt. Sie machen alles kaputt, wenn man sie nur läßt, und auch das ist gut. Denn es macht uns großzügig und lehrt uns, daß wir unser Herz nicht an Albernheiten wie kostbare Vasen und Perlenketten hängen sollen. Sie zerreißen Bücher und nehmen uns die falsche Ehrfurcht vor dem gedruckten Wort. Sie kreischen in Schlössern und Museen und stören beflissene Kulturtouristen bei ihrer stillen Zwiesprache mit der Kunst. Sie sind voller Leben und weisen uns dennoch unsanft auf die Vergänglichkeit hin. Was will man mehr, kein Philosoph bringt das fertig. - Ach wie schön das klingt, in friedlicher Nacht notiert, und wie gräßlich bitter schmeckt es am Tag.

Kinder verhindern mit ihren Forderungen ernsthafte Gespräche, die nie ein Ergebnis gebracht hätten, sowie Seitensprünge ihrer Eltern, die nur wieder zu ernsthaften Gesprächen führen würden. Ohne Kinder begibt man sich früher oder später womöglich auf Abenteuerreisen, sammelt alte Puppen oder Bilderbücher, legt sich Hunde zu, die auf Bürgersteige kacken, oder segelt mit dem Surfbrett herum und behauptet, das alles könne man mit Kindern nicht tun; und überhaupt sei es unverantwortlich, in diese Welt Kinder zu setzen, was eine ebenso vernebelte Bemerkung ist wie die des Familienministeriums, das eben jene kinderlosen Surfbrettsegler zum Kinderkriegen anregen will, indem es drohend auf unsere mageren Renten hinweist. Dies ist ja nun der allergemeinste Grund, Kinder in die Welt zu setzen, eine völlig asexuelle Ministeridee. Wir brauchen jemanden, der uns gründlich erzieht, deshalb brauchen wir Kinder, auch wenn die Bälger höllisch sind. Ohne Kinder ist erst recht der Teufel los. Lieber drei brüllende Kinder als ein brüllender Vorgesetzter."

Aus: Joseph von Westphalen (Vater zweier Kinder), Warum ich trotzdem nichts gegen Kinder habe (Essay).

Sorry für die off-topic-Abschweifung und Gruß :-)

Rüdiger


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