Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Merkel

Texaco, Monday, 23.05.2005, 13:05 (vor 7124 Tagen) @ Peaceful Warrior

Als Antwort auf: Merkel von Peaceful Warrior am 22. Mai 2005 20:28:

Ich bin da nicht so optimistisch. Merkel als Kanzlerin wird die Fronten eher verwischen als klären. Sie selbst wird keine Revolution auslösen, aber sicher gegenüber frauenpolitischen Forderungen symphatischer eingestellt sein. Einen Backlash wird sie nicht auslösen. Zugleich wird ihre Kanzlerschaft die Feministinnen aller Fraktionen bestärken.

Der Feminismus funktioniert nach dem Prinzip nörgelnder Frauen. Man kann sie nicht zufriedenstellen, indem man ihnen nachgibt. Das ermutigt sie nur zu weiteren Forderungen. Es ist männliche Logik zu glauben, ihre Vorwürfe seien durch Nachgeben entkräftet oder widerlegt. Auf die politische Ebene übertragen bedeutet das: Daß eine Frau Bundeskanzlerin wird, werden einige Männer vielleicht als Beweis dafür ansehen, daß es keine Diskriminierung gibt, und damit z.B. Quoten endgültig diskreditiert sind. Feministinnen wird es aber Auftrieb geben, mehr zu fordern.

Merkel ist in meinen Augen eine ehrgeizige Taktiererin. Sie wird zwar innerhalb ihrer Partei immer stärker und hat Rivalen ersteinmal ausgestochen. Aber könnte sie auch einen inhaltlichen Kurswechsel gegen ihre Partei durchsetzen, so wie das z.B. Schröder getan hat? Merkel wird abwarten, in die Partei horchen und sich danach an die Spitze der bereits vorhandenen Bewegung stellen. Sie bleibt damit nach innen oben auf, nach außen ist sie eh unangreifbar, weil Frau.

Zugleich wird Merkel auf die Unterstützung von Medienfrauen wie Sabine Christiansen zählen können. (Die hat schon mal Hillary Clinton und Merkel eingeladen, um darüber zu diskutieren, ob nicht endlich mal Zeit für eine Frau wäre.) Ohne diesen Rückhalt hätte Merkel ihr erstes, katastrophales Jahr als Vorsitzende nicht überlebt. Diese Unterstützung wird belohnt werden. Es wird deshalb wohl kein rot-grünes, "familien-" oder frauenpolitisches Projekt zurückgenommen werden. Eventuell werden einige Dinge wie Ganztagsbetreuung etwas konsequenter forciert. Einige Medien werden eine Party feiern, von wegen "Wir-Frauen-sind-jetzt-an-der-Macht". Aber als Bundeskanzlerin wüßte Merkel, daß ihr eine solche Stimmung auf die Dauer mehr schadet als nutzt. Trotzdem: Je mehr Merkel unter Druck kommt, desto mehr wird sie diese Fraktion auch in Zukunft brauchen.

Es könnte also sein, daß die Merkel-Jahre verlorene Jahre werden, jedenfalls an der Oberfläche.


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