Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Merkel

Garfield, Monday, 23.05.2005, 15:57 (vor 7128 Tagen) @ Magnus

Als Antwort auf: Re: Merkel von Magnus am 23. Mai 2005 00:24:53:

Hallo Magnus!

"Mein Vater war in der NVA. Nicht weil er es wollte, sondern weil er es musste, denn ohne Militärdienst kein Studium."

Es gab in der DDR auch keinen Zivildienst. Es gab zwar den sogenannten "Spatentrupp" - da gab es keine Ausbildung an Waffen, sondern man wurde nur für Baumaßnahmen in Armeeobjekten eingesetzt. Aber da kam man nur hin, wenn man Gewissenskonflikte im Umgang mit Waffen nachweisen konnte. Die bloße Behauptung solcher Gewissenkonflikte reichte üblicherweise nicht - man mußte schon beispielsweise Kirchenmitglied sein, um damit durch zu kommen.

"Wird einem eine höhere Position/Stellung z.B. innerhalb der FDP etc. angetragen - oft denen, die gute Leistungen in der Schule aufweisen und somit eine "Vorbildfunktion" übernehmen - und man lehnt diese ab, dann verliert man auch seinen Studienplatz, da man nicht konform verläuft oder offenbar zweifel an der sozialistischen Idee äußert."

Wer wirklich Zweifel am Sozialismus äußerte, hatte natürlich ganz schlechte Karten. Die Ablehnung einer Funktion in der FDJ dagegen konnte sich nur negativ auswirken, wenn man einen Studienplatz in einer begehrten Fachrichtung anstrebte. Da wurde dann oft auch erwartet, daß man nicht nur den normalen Grundwehrdienst leistete, sondern sich für 3 Jahre als Unteroffizier verpflichtete. Wenn man das tat, dann wog das auch fehlende Aktivität in der FDJ auf. Dafür sorgten schon die Lehrer, die tatsächlich eine Quote zu erfüllen hatten, also immer eine bestimmte Anzahl von Jungen zum Dienst als Unteroffizier oder Offizer in der NVA drängen mußten. Die schrieben dann gern jedem eine positive Beurteilung, der sich dazu bereit erklärte.

Wollte man beispielsweise Pädagogik studieren, dann sah das schon entspannter aus. Da wurden händeringend Leute gesucht, und so konnte man es sich da weniger leisten, die Studienbewerber zu erpressen.

"Allein die Verweigerung von Jugendlichen an einer Schule in die NVA zu gehen endete mit Gefängnis, Studiumsplatzverlust etc."

Das war übrigens auch in früheren Zeiten (bis in 19. Jahrhundert hinein) schon sehr ähnlich. Da gab es zwar noch keine allgemeine Wehrpflicht, aber wer Land besaß, war üblicherweise wehrpflichtig. Das traf dann vor allem junge Männer aus der Mittelschicht. Denen konnte es passieren, daß sie ein Studium nicht antreten konnten oder ein bereits begonnenes Studium abbrechen mußten, weil sie zum Militärdienst einberufen wurden. Es gab zwar Universitäten, die das Privileg genossen, daß die bei ihnen eingeschriebenen Studenten nicht zum Militärdienst gezogen werden durften, aber das waren nur wenige, und oft verlangte man dann Ersatz von der Familie. Dann zog man beispielsweise den jüngeren Bruder ein. Das war damals auch für viele Männer ein echtes Problem.

Frauen hatten dieses Problem in der DDR so natürlich nicht, weil sie ja keinen Wehrdienst leisten mußten. Allerdings wurde auch bei Frauen auf politische Haltung und Aktivität in der FDJ geachtet. Die meisten Mädels verhielten sich da allerdings sehr angepaßt und hatten dann auch keine Probleme. Ich habe nur einen Fall erlebt, wo ein Mädchen Probleme hatte:

Sie wollte Medizin studieren. Sie war auch intelligent und stand in fast allen Fächern auf 1. Trotzdem wurde ihre Bewerbung abgelehnt, während ein anderes Mädchen mit nur durchschnittlichen Zensuren einen Medizin-Studienplatz bekam. Der Unterschied zwischen den beiden bestand darin, daß die erste Kirchenmitglied und nicht in der FDJ war, während die zweite FDJ-Mitglied war und sich da auch brav engagierte. Die Lehrer haben dann aber Druck gemacht und dem ersten Mädchen so gute Beurteilungen geschrieben, daß sie letztendlich doch noch einen Medizin-Studienplatz bekam.

Bei einem Jungen hätte das so wohl kaum funktioniert, wenn er sich geweigert hätte, für 3 Jahre als Unteroffizier zur NVA zu gehen. So mancher Junge schreckte deshalb schon von Anfang an vor bestimmten Studienrichtungen zurück.

"...aber vermutlich würden diese Kritiker alle selber in einer Diktatur zusammenknicken. Sowas muss man halt erlebt haben."

Das sehe ich auch so. Im Nachhinein ist es immer leicht, zu sagen, daß man sich ja ganz anders verhalten hätte. Wer das sagt, der beweist damit lediglich, daß er oder sie noch gar nicht gründlich über die jeweilige Problematik nachgedacht hat.

"Die anderen, die das getan haben um keine Nachteile zu haben, denen kann man höchstens fehlende Standhaftigkeit vorwerfen, der man aber erst mal selber beweisen sollte."

Es gab in der DDR auch Menschen, die nur in die SED eintraten, weil sie hofften, von oben herab etwas ändern zu können. Gorbatschow hatte in der Sowjetunion ja demonstriert, daß das durchaus möglich ist. Dadurch wurde er auch für viele DDR-Bürger zur Leitfigur.

Und ich glaube, wenn mich damals jemand von der Stasi gefragt hätte, ob ich IM werden würde, dann hätte ich zugesagt. Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte es eben ein anderer getan. Und der hätte dann vielleicht wirklich alles brühwarm berichtet. Ich hätte dann versucht, nur Harmloses zu berichten, aber das wäre sicher auch aufgeflogen, weil ja üblicherweise immer mehrere IMs auf eine Person angesetzt wurden. Ich kann mir gut vorstellen, daß manch anderer tatsächlich nur aus diesem Grund zum IM wurde und sich dann auch selbst in Gefahr gebracht hat, wenn er nicht immer alles korrekt meldete. Heute zählt das aber nicht mehr - da zählt nur noch, daß er IM war, damit ist er stigmatisiert und ob er wirklich Schaden angerichtet oder sogar Menschen geschützt hat, interessiert niemanden.

Freundliche Grüße
von Garfield


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