Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Zwei Punkte

Maesi, Tuesday, 22.11.2005, 20:22 (vor 6932 Tagen) @ noname

Als Antwort auf: Zwei Punkte von noname am 22. November 2005 02:10:

Hallo noname

Mich haben zwei Dinge gestört. Zum einen störte mich, dass ein recht umfangreicher Text mit vielen diskussionwürdigen Aspekten gepostet wird, ohne dass der Poster (Flint) es für nötig hält selbst ein bis zwei Punkte herauszugreifen und Stellung zu beziehen.

Soweit stimme ich Dir zu.

Zum anderen störte mich der Eindruck, den Flint durch seinen kurzen Kommentar bei mir weckte. Damit meine ich dieses auf stillschweigende Einvernehmlichkeit hoffende "Kopfschütteln", geradezu so als müsse bei diesem Thema Einigkeit herrschen. Als brauche man gar nicht diskutieren.

Auch hier stimme ich Dir noch zu.

[...]Ich kann die Meinungen und Argumente jener verstehen, die das Leben - und sei es noch so klein - koste es was es wolle schützen wollen. Es ist doch aber illusorisch zu erwarten, dass sich dieser Wunsch in jeder Situation verwirklichen läßt. Manchmal passieren nunmal "Sex-Unfälle" und es wäre unverantwortlich ein daraus entstehendes Kind auszutragen.

Weshalb ist das unverantwortlich? Diese Behauptung hoert man immer wieder, aber eine stichhaltige Begruendung habe ich bisher noch nie gehoert. Ich halte gerade das Gegenteil fuer richtig: es zeugt von Verantwortung, dass man trotzdem das Kind austraegt und ihm so die Moeglichkeit zu einem erfuellten, befriedigenden Leben gibt.

Natürlich sollte man VORHER klären, ob man für ein Kind bereit ist. Aber manchmal geht das Leben eigensinnige Wege. Willst du zum Beispiel eine 12-jährige zwingen, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen? Oder soll eine vergewaltigte Frau auf jeden Fall das Kind austragen?

Die weitaus meisten Abtreibungen geschiehen weder durch minderjaehrige Muetter noch durch vergewaltigte Frauen. Hier werden Ausnahmen bemueht, um eine Regel (naemlich die Abtreibung aus nichtigen Gruenden) als ethisch richtig zu postulieren. Eine durchaus gaengige Praxis nicht bloss bei Abtreibungsbefuerwortern...

Die Verfasserin ist jung, oberflächlich und sie stellt mit ihrer Einstellung sicher, dass sich daran in Zukunft auch nichts ändern wird. Sei es ihr gegönnt! Was wäre, wenn eine solche Frau ein Kind bekommen MUSS, weil es zum Beispiel vom Gesetzgeber so erwartet wird. Sie trägt unter Umständen etwas aus, was sie nicht lieben will oder kann, etwas, was sie innerlich abstossen wird.

Hier werden zwei Dinge miteinander vermischt, die nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun haben: einerseits der Zwang das Kind auszutragen und andererseits der Zwang das ausgetragene Kind auch aufzuziehen. Da eine Freigabe des Kindes zur Adoption moeglich ist, ist das Argument, die Mutter muesse nach der Niederkunft auch das Kind aufziehen, belanglos. Niemand kann eine Mutter oder einen Vater zwingen ihr/sein leibliches Kind zu lieben. Darum geht es aber gar nicht. Es geht vielmehr darum, dass das Kind leben kann, Punkt!

Hättest du gerne eine Mutter gehabt, die dir dein Leben lang zu verstehen gegeben hätte, dass sie dich nicht wollte? Warum landet denn das eine oder andere Kind im Koffer und verendet dort? Weil die Mutter es über alles geliebt hat? Wir hängen hier im Forum die moralische Meßlatte ziemlich hoch, ich hoffe es wird uns nicht irgenwann zum Verhängnis. Die wenigsten Menschen kommen mit Gewissheit auf die Welt.

Naja, wenn Du so fragst: nein, ich haette nicht gerne eine solche Mutter gehabt. Wenn Du mich aber (gewissermassen im nachhinein) vor die Wahl stellst, ob ich lieber eine solche Mutter haette oder lieber gleich im Mutterleib getoetet worden waere, wuerde ich eindeutig ersteres waehlen. Begruendung: mein Leben besteht nicht nur aus der Beziehung zu meiner Mutter; es gibt viele andere Dinge, die es lebenswert machen.

Ausserdem: eine Mutter, die ihr Kind zur Welt bringt und hernach toetet, begeht selbst nach unserem jetzigen Recht ein Toetungsdelikt - auch wenn es leider nur allzu haeufig und allzu pauschal mit reichlich obskuren Argumenten (postnatale Depressionen, muetterliche Ueberforderung, Mutter wurde vom Vater sitzengelassen etc. etc.) entschuldigt wird. Dass eine gewisse Anzahl Muetter (bzw. Vaeter) so handelt, damit muessen wir leben. Das heisst aber noch lange nicht, dass wir es auch billigen muessen. Die Abtreibung damit zu rechtfertigen, dass eine Mutter ansonsten vielleicht ihr Kind toeten koennte, halte ich fuer unsinnig; die wenigsten Muetter toeten ihr Kind. Allein in der Schweiz werden pro Jahr etwa 10'000 Kinder abgetrieben. Wenn wirklich all diese Frauen potentielle Kindstoeterinnen waeren, na dann gute Nacht! In diesem Falle duerfte man wohl kaum mehr guten Gewissens irgendein Baby seiner Mutter ueberlassen.

Die meisten Menschen sind unsicher, wissen nicht, was sie tun sollen, können, dürfen, kennen ihre eigenen Interessen nicht, wandern eher orientierungslos durchs Leben, sind auf der Suche und immer erst hinterher klüger. Ziemlich menschlich.

Hier kann ich Dir nicht mehr folgen. Wo ist der Zusammenhang zur Abtreibung?

[snip] Als Mann kannst du auch nicht dein gezeugtes Kind straffrei aus dem körper der Mutter prügeln,

Wenns die Mutter ausdrücklich erlaubt, dürfte Mann das (zumindest formal). Es ist nunmal eine TATSACHE, dass das Kind im Bauch der MUTTER ist und da ENTSCHEIDET nunmal die Mutter! Das ärgert den einen oder anderen, aber es wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Ich erwarte ja auch, dass ein Arzt nur nach meiner ausdrücklichen Erlaubnis an mir rumschnippelt und jedwede Einmischung (von wem auch immer) würde ich mir verbieten!

Dass ein Mann aus rechtlich-formaler Sicht straffrei ein Kind aus dem Koerper der Mutter pruegeln kann, sofern sie es ihm erlaubt, ist korrekt. In der Praxis habe ich allerdings noch nie von so einem exotischen Fall gehoert, deshalb ist er weitgehend irrelevant. Hingegen habe ich schon gelesen, dass eine schwangere Frau infolge ihr zugefuegter physischer Gewalt ihr Kind verloren hat; der Taeter wurde daraufhin nicht wegen vorsaetzlicher Koerperverletzung (gegenueber der Frau) und Totschlag (gegenueber dem ungeborenen Kind) angeklagt sondern wegen Koerperverletzung und unautorisierter Abtreibung. Dass das so ist (auch der erstzitierte, exotische Fall), ist ja gerade die Folge des geltenden Abtreibungsrechts. Da Flint dieses insgesamt abzulehnen scheint, ist diese Argumentationslinie fuer ihn wohl belanglos.

Was in der ganzen Abtreibungsdebatte hingegen weitgehend ignoriert wird, ist das Hauptopfer: naemlich das ungeborene Kind. Das wichtigste Menschenrecht ist fuer mich das Recht zu leben; und genau dieses Menschenrecht wird mit der gaengigen Abtreibungspraxis liquidiert. Die Unterscheidung, ob sich das Kind noch im Mutterleib befindet oder schon draussen ist, ist fuer mich kuenstlich. Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht der neue Organismus, dieser Akt markiert also den Anfang des Lebens eines menschlichen Individuums.

Erst das Leben hoechstselbst ermoeglicht es dem Menschen dieses auch nach eigenem Gusto zu gestalten. Erst durch das Leben an sich kann er Gefuehle empfinden, nach Idealen streben, Dinge tun (oder lassen), denken, reden usw. usf. Wenn man ihn toetet, nimmt man ihm all diese Moeglichkeiten unwiderruflich. Dabei ist es unerheblich, ob der Mensch zum Zeitpunkt der Toetung vollumfaenglich zu all diesen Dingen imstande war oder nicht; es reicht aus, dass er spaeter mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu in der Lage sein wird. Ein menschliches Leben zu beenden, ist nach meinen ethischen Vorstellungen deshalb nur als ultima ratio (z.B. in Notwehr) statthaft. Die weitaus meisten Abtreibungen geschehen aber nachweislich aus nichtigen Gruenden, Alternativen (z.B. Freigabe zur Adoption) werden selten in Erwaegung gezogen. Die unmittelbare Konsequenz ist in jedem Abtreibungsfall, die Vernichtung eines konkreten menschlichen Lebens - allein schon deshalb kann ich eine 'Fristenloesung' vor meinem Gewissen nicht als 'Loesung' akzeptieren. Noch bedeutsamer sind fuer mich jedoch die mittelbaren gesellschaftlichen Auswirkungen: wir neigen immer mehr dazu, ungeborenes Leben als Sache zu betrachten, die man wie Abfall einfach entsorgen kann; toeten kann zur Gewohnheit werden, das Toeten durch Abtreibung ist in der westlichen Gesellschaft laengst zur Gewohnheit geworden. Wir regen uns auf, wenn irgendwo irgendeinem Kind ein Leid angetan wird und sind voellig mitleidlos gegenueber unserem mit industriellen Methoden getoeteten eigenen Nachwuchs - IMHO eine reichlich schizophrene Denke.

Abtreibung ist Feigheit! Feigheit davor, eines Tages seinem Kind erklaeren zu muessen, weshalb man es nicht gewollt habe; ein abgetriebenes Kind stellt keine Fragen mehr, denn Tote reden nicht. Ich richte keineswegs ueber Leute, die ihr Kind nicht haben wollen. Wenn sie es stattdessen zur Adoption freigegeben haben, dann haben sie die schwierigere Loesung gewaehlt, und darob verdienen sie meine Achtung, weil sie nichtsdestotrotz das Recht des Kindes auf ein eigenes Leben geachtet haben.

Gruss

Maesi


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