Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Gibt es Rassen ? Gibt es Geschlechter ?

Adam, Thursday, 18.05.2006, 23:51 (vor 6553 Tagen) @ Freddy


Kuhns Theorie ist ja nun metaphysisch im wahrsten Sinne des Wortes und
somit für die Phänomene der Welt völlig irrelevant. Wenn man etwas über
die Welt lernen möchte, muß man die Welt erforschen. Man kann nicht
ersatzweise Kuhn lesen.

Kuhns Theorie ist alles andere als metaphysisch. Nirgendwo nämlich finden sich Argumente a priori, und eine Metaphysik aufgrund empirischer Befunde dürfte ein Unding sein. Ein Phänomen dieser Welt ist auch die durch Homo sapiens betriebene Wissenschaft, und wenn man etwas über dieses Phänomen lernen Möchte, so kann es durchaus sinnvoll sein, sich mit Kuhn zu beschäftigen - nicht mit seiner Person, ist natürlich gemeint, sondern mit seiner Theorie.

Es war ja auch nicht meine Absicht, Kuhn psychisch zu hinterfragen. Ich
wollte nur zeigen, daß man so Argumentieren kann, wenn Kuhn seinerseits
weltliche Dinge auf psychische zurückführt.

Das tut er aber nicht. Hast Du ihn gelesen? Es geht ihm um Fakten wissenschaftlicher Theoriebildung. Kuhn ist Wissenschaftshistoriker von Hause aus. Und eine solche um Fakten bemühte, oft historisch verfahrende Forschung ist per se völlig unmetaphysisch.

Wissenschaftliche Revolutionen sind gekennzeichnet durch Paradigmenwechsel. Damit ist weniger ein Wechsel im privaten Weltbild des jeweiligen Wissenschaftlers, seiner Weltanschuung, gemeint, als vielmehr ein Wechsel des WISSENSCHAFTLICHEN Paradigmas. Passen einzelne Erfahrungen, Ergebnisse von Experimenten, Erscheinungen usf. nicht ins gängige Erklärungsmodell einer Wissenschaft, so bleiben sie zunächst außen vor, bis man a)einen Weg gefunden hat, sie dennoch widerspruchsfrei in das geltende Theoriegebäude zu integrieren. Glingt das nicht, so werden b) Details des Theoriegebäudes modifiziert, so lange bis die neu beobachteten Phänomene in ihm Platz haben. Manchmal hilft aber auch dies nicht; dann muß offenbar c) ein Fehler in den Grundannahmen stecken: es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel.

Nur wenige Wissenschaftler betreiben diesen letzten Ausweg offensiv, weil mit ihm ein ganzes Gebäude neu zu errichten wäre. Meist sind es junge Forscher, die den Mut haben, altes bislang Bewährtes in Frage zu stellen: Einstein etwa bewirkte einen Paradigmenwechsel in der Physik. Die Grundannahme seiner RelTh. ist nun die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Solange in der Physik wiss. Erklärungen gefunden werden können, die diese Basis nicht in Frage stellen - und zunächst einmal wird schon für die meisten Erklärungen eine derartige Basis vorausgesetzt, d.h. sie geht konstitutiv in die Erklärung ein, was ihr Infragestellen beinah schon ausschließt - solange wird auch Einsteins inzwischen nicht mehr ganz neues Paradigma bleiben. Sobald aber sich die These von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht mehr aufrecht erhalten läßt, ist die Relativitätstheorie am Ende, und ein neues Pradigma wird Einzug halten in die Physik. DAS nennt Kuhn eine Wiss. Revolution, und DAS hat noch gar nichts mit den Weltbildern zu tun, die einzelne Forscher sonst noch haben und die vielleicht von psychologischer Relevanz sein mögen.

Nun ist es so, daß dergleichen Revolutionen zwar neue Paradigmata (Erklärungshorizonte) schaffen, daß diese zunächst aber von der wiss. Gemeinschaft parallel zu den alten eingenommen werden: nicht jeder Wissenschaftler vollzieht den Paradigmenwechsel mit, viele behalten das alte bei, weil sie evtl. glauben, in Phase b) wäre noch zu einer Lösung zu gelangen. Vor allem ältere Forscher können sich selten gleich dazu entschließen, Grundfeste ihrer über Jahre erarbeiteten wissenschaftlichen Position einfach preiszugeben.

Die nun freilich etwas provozierende These Kuhns ist es, daß ein wiss. Paradigmenwechsel erst dann wirklich stattgefunden hat, wenn die Vertreter des alten Paradigmas gestorben sind, da sie eben oft nicht mehr durch Argumente zur Annahme neuer Prinzipien zu bewegen sind. Dies mag man psychologisch begründet sehen, ich denke aber, daß dies nicht wirklich zutrifft und schon gar nicht theorierelevant ist. Kuhn jedenfalls geht es in erster Linie darum zu zeigen, wie wissenschaftliche Entwicklung abläuft, nicht wie die Haltungen der daran Beteiligten innerlich motiviert sind.

Gruß
Adam


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