Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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68er - Ursachen und Folgen

Eugen Prinz, Saturday, 18.09.2004, 23:19 (vor 7363 Tagen)

Aus gegebenem Anlass ein paar Zeilen zu den 68ern, den Ursachen und Folgen, nicht um Unbelehrbaren ihr Feindbild zu nehmen, sondern um der geschichtlichen Gerechtigkeit willen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit der Einladung, weitere Erkenntnisse, Kritik oder Erinnerungen beizutragen.

Eugen

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Die 68er Bewegung, auch die Studentenbewegung genannt, entstand in einer Episode der deutschen Geschichte, die durch Wiederbewaffnung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg, Eingliederung in die Nato, Eskalierung des Kalten Krieges und den Vietnamkrieg gekennzeichnet war.

Wesentliche Elemente waren u.a.:

- Kritik am US-Imperialismus (insbesondere am Vietnam Krieg) und am Schulterschluss der damaligen deutschen Regierungen mit den USA.
- Kritik am „militärisch-industriellen Komplex“ in der BRD (Aufrüstung, Strauß-Affären, Rüstungsexporte)
- Kritik an der Medienmachtkonzentration, insbesondere bei Springer.
- Sexuelle Befreiung, neue Einstellung zu Masturbation, Homosexualität, Monogamie...
- Kritik an den staatstragenden Einrichtungen, Justiz, Politik, Wissenschaft („Unter den Talaren, der Muff von tausend Jahren“). Das war vielleicht noch am ehesten eine Kritik an den „Vätern“, also am Patriarchat.
- Kritik an Autoritätsgläubigkeit und Obrigkeitshörigkeit, mithin also an Eigenschaften, die den ersten und zweiten Weltkrieg möglich gemacht hatten.
- Kritik an mangelnder Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der BRD, Enttarnung von Altnazis.

Die 68er Bewegung war zunächst überwiegend eine Männerangelegenheit. In den einschlägigen Gruppen und Diskussionskreisen spielten Frauen nur in geringem Maße ein Rolle. Sie war auch keine rein deutsche Angelegenheit, vielmehr hatte sie vor allem auch in Frankreich und Italien starken Zulauf.

Weder Abtreibung noch Verhütung waren originäre Themen der 68er. Die Frauenbewegung ist bekanntlich viel älter als die 68er Bewegung. Und die Abtreibungsdebatte kam erst Jahre später.

Auch das Umdenken in der Pädagogik, z.B. das Konzept der sog. antiautoritären Erziehung, war keine Erfindung der 68er. Das geht vielmehr zurück auf A.S. Neill, der seine Ideen schon 1921 in England umsetzte.

Es gab natürlich - wie immer - eine Diversifikation der Bewegung.
- Die Frauenbewegung witterte Morgenluft und erstritt neue Abtreibungsgesetze.
- Die Protestbewegung ästhetisierte und kommerzialisierte sich, wurde zur Hippie- oder Folklorebewegung.
- Ein Teil der 68er ging in der Ökobewegung auf.
- Und einigen 68ern war die Bewegung bekanntlich nicht radikal genug. Die letzten werden dieser Tage eingebuchtet oder aus dem Knast entlassen.

Die Tatsache, dass ein paar ehemalige 68er heute in der Politik sind, hat überhaupt nichts zu besagen. Tausende aus dieser Zeit, die mit den 68ern überhaupt nichts am Hut hatten, sind heute in politischer Verantwortung – mit weit fragwürdigeren Konzepten.

Vieles von dem, was die 68er Bewegung vorgetragen hat, hat sich bereits in der Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende (1900) angedeutet, wurde aber durch die Nazis dann entweder vereinnahmt oder zerschlagen, und fand erst unter den Bedingungen der 60er Jahre wieder neue Impulse und Wachstumsbedingungen.

Die 68er hatten kein Internet. Sie hatten Flugblätter, Wandzeitungen, Demos, Diskussionsveranstaltungen, Vorlesungsstreiks usw. Wenn es damals ein Internet gebeben hätte, dann wären sie wahrscheinlich ähnlich ineffektiv geblieben wie die heutige Männerbewegung. Aber die 68er haben ihre Sache in die Öffentlichkeit, auf die Straße, in die Medien und in die Gerichtssäle getragen.

Waren sie erfolgreich? Haben sie versagt? Da könnte man auch fragen, ob Jesus oder Buddha, der Sozialismus oder das Grundgesetz erfolgreich waren. Den Wert eines Gedankens bemisst man nicht an seinen mehr oder weniger erfolgreichen Manifestationen.

Eugen Prinz


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