Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: 68er - Ursachen und Folgen

Garfield, Tuesday, 21.09.2004, 21:13 (vor 7360 Tagen) @ Eugen Prinz

Als Antwort auf: 68er - Ursachen und Folgen von Eugen Prinz am 18. September 2004 20:19:11:

Hallo Eugen!

Das ist auch wieder so ein kompliziertes Thema. In dem hier vom Morb verlinkten Text wird das Ganze so dargestellt, als hätte es ursprünglich eine perfekte Gesellschaft gegeben, die dann von bösen Marxisten und ihren angeblichen Erben, den 68ern, aus Dummheit oder reiner Böswilligkeit zum Schaden aller zerstört worden wäre.

So war es natürlich nicht. Wir hatten noch nie eine perfekte Gesellschaft. Immer hat es eine mehr oder weniger große Anzahl von Menschen gegeben, die in irgendeiner Form ohne eigenes Verschulden benachteiligt wurden und sich dagegen auflehnten.

Von Sklavenaufständen in der Antike über Bauernaufstände und Revolutionen der Neuzeit zieht sich das wie ein blutrotes Band durch die menschliche Geschichte.

Und immer wieder gab es auch Menschen, die versuchten, die Gesellschaft ohne Blutvergießen zu verändern. Sie schlugen ihre Thesen an Kirchentüren, sie schrieben und schreiben gesellschaftskritische Bücher oder sie organisierten und organisieren Protestkundgebungen.

Das Problem dabei besteht darin, daß eben nicht alle Menschen gleich sind. Wir haben nicht alle dieselbe Auffassungsgabe, dieselbe Lebenserfahrung, dieselbe Fantasie... Nicht jeder Mensch denkt gern nach - so manch einem ist es lieber, das nachzuplappern, was er von anderen gehört hat. Und dann gibt es auch noch diejenigen, die sich an irgendwelchen Weltverbesserungs-Versuchen nur beteiligen, weil sie hoffen, daß dabei für sie persönlich etwas heraus springt. Weil sie sich dabei z.B. bereichern oder sich an anderen Menschen für irgendetwas rächen können.

Man wird in solchen Bewegungen neben Menschen, die die Welt wirklich verbessern wollen, also immer auch solche finden, die weit weniger uneigennützige Motivationen haben. Wie hoch der Anteil der letzteren ist, hängt vor allem davon ab, wie hoch der Leidensdruck in der Bevölkerung wirklich ist. Wenn es tatsächlich vielen Menschen schlecht geht, dann wird es auch viele Menschen geben, die wirklich etwas zum Positiven bewegen möchten. Geht es jedoch tatsächlich gar nicht vielen Menschen schlecht, dann wird man unter den Weltverbesserern auch entsprechend viele Leute finden, die eher eigennützige Motivationen haben oder auch einfach nur aus Langeweile dort mitwirken.

Aber wie dem auch sei: Es müssen tatsächlich Mißstände vorhanden sein, damit sich irgendeine Protestbewegung überhaupt erst entwickeln kann. Und zwar nicht irgendwelche Mißstände, sondern solche, die ein einzelner Mensch allein nicht abstellen kann.

Wie du schon richtig geschrieben hast, waren viele Ideen der 68er gar nicht wirklich neu. Über Abschaffung der Ehe beispielsweise wurde bereits in den 1920er Jahren offen diskutiert. Schon damals wurde ernsthaft die Einführung einer Ehe auf Zeit, nur für wenige Jahre, vorgeschlagen. Die Kirchen stemmten sich natürlich mit aller Kraft gegen solche Bestrebungen.

Wie du auch schon richtig geschrieben hast, haben die Nazis diese Bestrebungen weitgehend unterdrückt. Nach dem Sturz des Nazi-Regimes wäre es durchaus logisch gewesen, wenn alles das, was die Nazis unterdrückt haben, nun umso stärker wieder hochgekommen wäre. Die Bevölkerung war aber zunächst zu sehr damit beschäftigt, in der kargen Nachkriegszeit zurecht zu kommen. Als es dann wirtschaftlich wieder aufwärts ging, ging es sehr vielen Leuten immer besser, und so hatten auch entsprechend wenig Menschen Grund, sich zu beklagen.

Ende der 60er Jahren kamen nun mehrere Faktoren zusammen, die das Entstehen einer neuen Protestbewegung begünstigten:

1. Gab es sehr wohl einige Mißstände: So stieg beispielsweise plötzlich die Arbeitslosigkeit wieder an. Bislang war es so gewesen, daß jeder, der arbeiten wollte, auch Arbeit gefunden hat. Nun begann sich das langsam, aber sicher zu ändern. Es war also zu befürchten, daß der allgemeine Wohlstand, der mit dem "Wirtschaftswunder" ausgebrochen war, bald wieder zu Ende sein würde. Ein weiterer Mißstand war die mangelhafte Aufarbeitung der Nazi-Zeit. Direkt nach dem Krieg war kaum jemand in Deutschland daran interessiert, diese Vergangenheit zu gründlich aufzuarbeiten. Auf Druck der Siegermächte wurde zwar eine Entnazifizierung durchgeführt, aber auch die Siegermächte selbst gingen dabei nicht immer sonderlich gründlich vor. Diejenigen, die unter Hitler gute Dienste leisteten, erschienen auch nach dem Krieg häufig noch als sehr brauchbar und wurden deshalb nicht in die "Entnazifizierung" einbezogen. Als nun eine Generation herangewachsen war, die die Nazi-Zeit nicht mehr selbst erlebt hatte und sich somit zum einen keiner Schuld bewußt war, zum anderen aber auch das Verhalten vieler Menschen unter dem Nazi-Regime mangels eigenem Erleben nur schwer verstehen konnte, wurde es von dieser Generation als sehr negativ empfunden, daß so mancher ehemalige Nazi-Funktionär immer noch in Amt und Würden saß. Und nicht zuletzt gab es noch den Kalten Krieg und das Wettrüsten. Spätestens seit der Kuba-Krise gab es wohl kaum noch jemanden, dem nicht bewußt war, was sich im ungünstigsten Fall daraus entwickeln konnte. Vor allem Jugendliche, die eher dazu neigen, alles in Frage zu stellen und die auch nicht auf eigene Familien Rücksicht nehmen müssen, sahen angesichts dieser Probleme Handlungsbedarf.

2. Ging es sehr vielen Menschen in Deutschland ja durchaus gut. Man brauchte sich keine Sorgen um das tägliche Überleben mehr machen, so wie in der Nachkriegszeit. So hatten nun genügend Menschen Muße, um sich um andere Dinge zu sorgen, beispielsweise um die oben erwähnten Mißstände.

3. Sorgten die modernen Medien, wie Fernseh- und Radiosender, Zeitschriften und Bücher, dafür, daß die sich aus den Punkten 1-2 ergebenden Weltverbesserungsideen schnell einer breiten Masse zugänglich gemacht wurden und so eben auch schnell viele Anhänger fanden.

Nicht alle dieser Möchtegern-Weltverbesserer waren weltfremde Spinner. Das Problem besteht nur darin, daß sich die breite Masse nur schwer lenken läßt. Und mit logischen Argumenten erreicht man da gar nichts.

Demagogen wie Hitler oder Goebbels haben das erkannt. Deshalb hat Hitler ja auch die Nazi-Ideologie so pseudo-religiös gestaltet und sich gern als Heiland der arischen Rasse präsentiert. Er wußte sehr genau, daß die allermeisten Menschen an etwas glauben wollen und daß sie blind demjenigen folgen, der ihnen einen Glauben gibt. Daher auch die Ablehnung der Religionen durch die Nazis: Die Nazi-Ideologie war selbst eine Religion, und auch da sollte es möglichst wenig Konkurrenz und idealerweise keinen Gott neben dem Führer geben. Nur so war es den Nazis möglich, die ganze deutsche Gesellschaft innerhalb weniger Jahre wie ein Pilzgeflecht zu durchdringen.

Die 68er-Bewegung lehnte den Nationalsozialismus aber ab und verwarf damit auch das Führer-Prinzip von vorneherein. So nahmen sich die Köpfe dieser Bewegung von Anfang an eine Möglichkeit, ihre Anhänger zu steuern. Die Situation verschlimmerte sich noch dadurch, daß es unter den 68ern offensichtlich auch keine herausragende, sehr charismatische und redebegabte Persönlichkeit gab, die fähig war, die Menschen in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu lenken. Das Ergebnis war ein Chaos, und so konnte sich dann das geistige Mittelmaß durchsetzen.

Der Durchschnittsbürger denkt nicht gern weit, sondern zieht Parolen und Schlagworte vor, die ihm das Denken ersparen. Entsprechend entwickelte sich nun die 68er-Bewegung, und es entstanden all die Gutmenschen, die noch heute fest davon überzeugt sind, mit ihren Parolen und Schlagworten grundsätzlich immer recht zu haben.

Das bedeutet aber nicht, daß die 68er mit all ihrer Kritik vollkommen daneben lagen. In mancher Hinsicht hatten sie durchaus recht. Sie sind dann nur in vielem weit über das Ziel hinaus geschossen. So wurde die Problematik der Umweltverschmutzung richtig als solche erkannt. Anstatt nun konstruktiv auf die Entwicklung neuer, umweltschonenderer Technologien hinzuarbeiten, wandte man sich oftmals gegen die Technologie ganz allgemein, stellte sie als Wurzel allen Übels dar und begriff natürlich nicht, daß man durch Aufhalten der technologischen Entwicklung letztendlich doch nur die Konservierung der bestehenden Mißstände erreicht. Weil man soweit überhaupt nicht dachte. Und dem Durchschnittsbürger sind Wissenschaft und Technologie sowieso fremd und damit suspekt. Also wird beides abgelehnt.

Als sich dann erst einmal "Berufs-68er" etabliert hatten, die z.B. als Journalisten oder Schriftsteller die mittelmäßigen intellektuellen Bedürfnisse des Durchschnittsmenschen befriedigten, beschleunigte sich diese Entwicklung noch mehr. Diese Leute mußten die Bewegung am Leben erhalten, weil sie nur so ihre Existenzberechtigung weiterhin nachweisen konnten.

Die Frauenbewegung kam im Fahrwasser der 68er-Bewegung erst so richtig in Fahrt und entwickelte sich dann ganz genauso. Sie wurde zu einem Teil der 68er-Bewegung und scheint heute, nachdem die Friedensbewegung durch das Ende des Kalten Krieges stark ausgebremst wurde und wo immer mehr Menschen weder Muße noch Geld zur Unterstützung der Umweltschutzbewegung haben, der erfolgreichste Überlebende dieser Bewegung zu sein. Immerhin haben es Berufsfeministinnen geschafft, sich in Ministerien und Ämtern festzusetzen. Zwar regieren die Grünen das Land mit, aber erstens glaube ich nicht, daß sie dazu noch lange Gelegenheit haben werden und zweitens hat die Frauenbewegung die Grünen ja längst unterwandert, so daß heute die Anliegen der Berufsfeministinnen bei den Grünen oberste Priorität haben, auch vor ökologischen Themen.

Die allgemeine Lage verschlechtert sich nun aber zunehmend. Das sorgt zum einen dafür, daß sich immer weniger Menschen für die Anliegen irgendwelcher Alt-68er oder ihrer Erben interessieren. Immer mehr Menschen haben heutzutage nämlich ganz andere, handfestere Sorgen.

Und es kommt auch langsam ein Gegentrend auf. Immer mehr Menschen machen jetzt die 68er-Bewegung für alle heutigen Probleme verantwortlich. Das ist nicht nur falsch, sondern höchst gefährlich, denn so besteht die Gefahr, daß wir von einem Extrem ins andere fallen, und daß sich dieses andere Extrem weitaus schlimmer auswirken wird als die 68er-Bewegung. Hinter der 68er-Bewegung standen ja keine handfesten wirtschaftlichen Interessen, eher im Gegenteil. Hinter diesem Gegentrend stehen aber handfeste finanzielle Interessen. Es wird enger in unserer Gesellschaft, und das fördert die Ellenbogen-Mentalität. Immer mehr Menschen bleiben dabei auf der Strecke. Wie können die übrigen das vor sich selbst und vor anderen rechtfertigen? Einfach indem sie sich und anderen sagen, daß es ihnen doch nur gut geht, weil sie viel leisten und daß es anderen nicht gut geht, weil sie wenig leisten. Die bösen 68er hätten das Leistungsprinzip abgeschafft, und deshalb würde es uns jetzt schlecht gehen. Folglich müßten wir das Leistungsprinzip wieder einführen und auch sonst alle Forderungen der 68er vergessen. Wenn wir mit einem Krieg Geld verdienen können, dann müssen die Soldaten eben marschieren. Wenn sich mit weniger Umweltschutzauflagen billiger produzieren läßt, dann müssen die Umweltschutzauflagen eben weg. In anderen Ländern interessiert das auch niemanden, und wir müssen doch konkurrenzfähig bleiben...

So wird die 68er-Bewegung bald endgültig Geschichte sein, aber es ist zu befürchten, daß dann die Welt nicht etwa besser, sondern noch schlimmer wird. Und die Frauenbewegung wird auch weiterhin überleben. Denn sie hat nie an den Grundfesten des Systems gerüttelt. Berufsfeministinnen wie Alice Schwarzer werden sogar gebraucht, um die Bevölkerung von wirklichen Problemen abzulenken. Sie haben von den 68ern gelernt, und sie werden das Gelernte weiterhin erfolgreich zum Schaden der Gesellschaft anwenden.

Freundliche Grüße
von Garfield


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