Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Am Anfang war der Signifikant...

Nick, Monday, 20.09.2004, 18:47 (vor 7361 Tagen) @ michail

Als Antwort auf: Am Anfang war der Signifikant... von michail am 19. September 2004 23:06:33:

Lieber Michail!

"Ich notiere auch mit Interesse die Auswüchse verdrängter metaphysischer Bedürfnisse wie sie in nahezu allen Denkrichtungen, in denen sie es eigentlich gar nicht dürften, maskiert auftreten. Da gibt es Sprüche von Poststrukturalisten, die glatt an die entrückt-entzückten Erfahrungen Heiliger des Mittelalters erinnern. Auch Freud neigte am Ende dazu, der Materie des Es etwas Seelchen beizusteuern."

Meine These dazu: es ist keineswegs so, daß die "metaphysischen Bedürfnisse" einfach so "individuell" verdrängt werden, quasi freiwillig und in autonomer Selbstbestimmung. Das ist eine ideologische Lüge. Es gibt eine Art säkulare Ideologie, die in vielen Bereichen und zunehmend nach Hegemonie trachtet (wie sie hier Eugen z.B. aggressiv vertritt), die Religion zu einer Art Perversion für Verblödete erklärt sehen möchte und massivste Energien in entsprechende Propaganda- und Missionsanstrengungen investiert, um dies nur ja in die Seelen zu hämmern. Nicht nur in die eigene, wohlgemerkt (das wäre ja wirklich nur eine je private Sache). Da wird die "Zuständigkeit" dann schon etwas weiter aufgefaßt, schon um "Mission" fürsorglich zu unterbinden. Mich erinnert es mehr als nur atmosphärisch an den erlebten linken Meinungsterror, der die Unis der 70er Jahre beherrschte. Die Herrschaften gehen eben inzwischen auf's große Ganze.

Es gibt z.B. die Auffassung, Religion sei angeblich, auch in der öffentlichen Diskussion, etwas "radikal Privates", das gewissermaßen nur von mir zu dir und in privaten Räumen thematisiert werden dürfte. Wird das Tabu gebrochen, dann steht eine Meute bereit, die nicht inhaltlich, sondern des Prinzips wegen zur Treibjagd schreitet. Manche ertragen das besser als andere, aber es ist ein totalitärer Anspruch, der konsequent weitergedacht an die Denke der metternichschen Demagogenverfolgung im 19. Jahrhundert erinnert: "Politische Ansichten sind radikale Privatsache. Wer öffentlich darüber räsoniert, wird entlassen, ggf. eingesperrt oder des Landes verwiesen!"

Das ist natürlich ungeheuer einschüchternd. Die meisten können dem gar nicht standhalten - wie auch? Sehr viele Menschen verbergen deshalb ihren Glauben, halten ihn gehorsam "privat", vermeiden, ihn öffentlich zu erwähnen, einfach aus Furcht, damit umgehend persönlichen Ärger zu bekommen. Ich mag mich damit aber nicht abfinden, da ich das für einen RAUB an den Seelen anderer Menschen halte. Ich habe niemals gesagt, "was" jemand glauben "sollte", das wäre völlig absurd und ich käme garnicht auf die Idee, nur daß man sich darum kümmern muß, jeder für sich, das habe ich mehrfach ausgeführt. Die Reaktionen kann man hier jeweils nachlesen. Wie anders soll man das bezeichnen als unverschämt, anmaßend und despotisch - nicht mal in erster Linie mir gegenüber jetzt, weil mich da eh keiner aus den Schuhen kippen kann.

Aber Menschen haben nunmal meistens viel Angst und lassen sich sehr schnell einschüchtern. Wenn man ihnen den Sex "verdirbt", dann lassen sie es oder werden krank daran. Wenn man ihnen den Glauben verdirbt, verhalten sie sich ganz analog. Das ist alles keineswegs so unbeeinflußt von außen und überhaupt nicht frei und freiwillig, sondern ein anmaßender und zerstörerischer Übergriff, ein Angriff auf den persönlichsten Bereich der menschlichen Freiheit. Das ist der Hintergrund, vor dem ich die "Religionsfrage" hier sehe...

Für mich, der Religion überhaupt nicht als "Denksystem" o.ä. erfährt, ist das nichts anderes als der Versuch, "Liebe" schlechthin (nimm als Anschauung: "zwischen zwei Menschen") einer künstlich verblödeten Herde Mensch als "perverse Idiotie" zu suggerieren - Beispiel: "1984" (Orwell). Was wird geschehen? Liebe wird als gequälter Schrei, aber in total pervertierter Form aus allen Poren der Gesellschaft drängen. Man wird sogar eigens ein "Liebesministerium" schaffen. Niemand weiß zwar mehr, wie man liebt, aber jeder verreckt fast an der Sehnsucht danach. Eine schreckliche Zukunftsvision? Ich denke nein - das ist jetzt!

Es sind übrigens keineswegs die "Entrückungen", die Religion ausmachen. Es ist einfach ein ganz stiller Friede in der Seele, der bleibt und nicht mehr weggeht, komme was da wolle. "That's all", möchte ich fast sagen :-)

"Entrückt-entzückte Erfahrungen" können durchaus auch Nihilisten erleben, so wie ein Heroinsüchtiger "Glück" erfährt, wenn er sich seinen Schuß gesetzt hat. Nur hat das denn einen Bestand?

"Du schneidest da ein großes Thema an."

Wenn ich mir das chaotisch "meinende" und "findende" Publikum hier vor Augen führe, bereue ich es inzwischen eher, daß ich es überhaupt angeschnitten habe. Soll ich jetzt etwa mit Pillepalle und den Ötterpöttern über ihre Neurosen und angekränkelten Empfindlichkeiten "diskutieren" angesichts der Frage, "ob es nun einen Gott gibt oder nicht"; so wie man etwa darüber redet, ob sich die Erde um die Sonne dreht usw. Die Frage wird auf diese Weise komplett idiotisch, sobald man sie überhaupt (so) stellt, das weiß ich selber auch - dabei geht es darum gar nicht. Religion ist einfach nur mindestens so natürlich wie Sex.

Die "Planckwelt", über die ich geredet habe, ist nichts weiter als eine Anregung, um die landläufigen, bequemen, "logischen" Allerweltserklärungen zu erschüttern: "Die Wissenschaft hat festgestellt, daß Marmelade Holz enthält..." - die Leute zimmern sich doch ihre innere Welt inzwischen aus solchen "allgemein gewußten" Plattitüden. Dabei muß es garnicht unbedingt so kläglich und trist zugehen, ein objektiver Zwang ist es jedenfalls nicht.

Gott "beweisen" durch den Urknall? Ich habe ganz dezidiert gesagt, daß das weder geht noch beabsichtigt ist. Nutzt es was? Nein.

Ich betrachte die gegenwärtigen Erklärungsmodelle (etwa den Urknall) als dürftige Improvisationen, die allein auf der Aussagekraft einer jeweiligen Disziplin (Mathematik z.B.) und auf der geradlinigen Fortsetzung einer Beobachtungssequenz bauen.

Ich auch.

"Wenn sich etwa das Universum ausdehnt, dann war es einmal explodiert – daß es sich pulsartig verhalten könnte, wäre aber auch eine Möglichkeit."

Physikalisch gesprochen: die Möglichkeit scheidet aus - wegen der Hintergrundstrahlung und wegen der "dunklen Energie", die mehr und mehr Anteil an der Gesamtenergie des Kosmos bekommt und die Expansion (meßbar) immer weiter beschleunigt.

"Die Vorexistenz existentiell-materieller Grundbedingungen, die nicht "entwickelt" sein könnten, ist ein wichtiger Aspekt."

Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Nicht wahr, darin liegt eben tatsächlich ein echtes Geheimnis! Nicht ein "Rätsel", denn Rätsel kann man ja im Prinzip knacken. Geheimnisse nicht.

Ich möchte nur ganz kurz auf die sprachlichen Schwierigkeiten hinweisen, die in deinem Satz (notwendigerweise) enthalten sind. Folgende Worte sind definitiv falsch, ungültig, sinnlos: "vor", "Existenz" und "materiell". Was also dann? Man kann nicht sinnvoll darüber reden, d.h. man kann eigentlich garnicht darüber reden (außer eben komplett spekulativ). Das Geheimnis offenbart sich aber mit der Planckwelt: ein sinnvolles, wunderschönes, "funktionierendes" Universum, in dem es uns gibt!

Es scheint zwar inzwischen bei einigen gewissermaßen "verboten" zu sein, diese Tatsache einfach nur wunderbar zu finden. Für mich ist und bleibt es aber ein unfaßbares Wunder, weit bedeutender als jede Art von aneignender Erkenntnis, die doch in ihrer Anmaßung notwendigerweise immer kläglich bleibt. Auch deshalb habe ich meine Ausführungen zur Planckwelt gemacht: freie Religionsausübung hat v.a. mit dem schlichten Recht auf Schönheit zu tun. Mich langweilen und ekeln einfach die vertrockneten "Welterklärungen", die einem heute breitbandmäßig, gespreizt und anmaßend aufgedrängt werden. Ich mag diesen ganzen konfektionierten, ekligen Fraß einfach nicht essen.

Es gibt Leute, die, wenn man zusammen mit ihnen an einem Strand sitzt und die Sonne untergehen sieht, darüber zu schnattern anfangen, daß die Sonne jetzt in Wahrheit garnicht untergeht, sondern sich die Erde um sich selber dreht und alles eine Illusion ist und sie erst kürzlich in einer berühmten Zeitschrift dieses und jenes darüber veröffentlicht haben, was in einem Aufsatz von XY folgendermaßen gelobt wurde...

Verstehst du, warum ich bei solchen Leuten innerlich zur Axt greife?

Möglicherweise weißt du es. Dir trau ich es zu.

Herzlicher Gruß
an dich vom
Nick

P.S.: Nick macht jetzt Ferien

P.P.S.: Was das Ganze eigentlich mit dem Thema des Forums zu tun hatte? Nun, es geht um die Liebe und um ihren Tod, oder nicht?


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