Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Die notorische Verlegenheit des Materialismus

Nick, Sunday, 19.09.2004, 22:26 (vor 7362 Tagen) @ michail

Als Antwort auf: Re: Es fehlt noch was: von michail am 19. September 2004 18:20:05:

Lieber Michail!

"Die Ungeheuerlichkeit einer Auflösung des Ich oder der Erlösung vom Ich (nicht etwa zum Zwecke eines 'höheren Selbst' wie in der – nicht nur östlichen - Philosophie) ist die Erweiterung des antiautoritären Prinzips nach innen. Materialistisch-positivistische Esoterik also, die in den Psychologien der Moderne ihr Gift verbreitet."

Diese ulkige Wendung des Materialismus ins obskurant-esoterische erkenne ich genau wie du! Das war übrigens deshalb unausweichlich geworden, weil Materialismus im weiteren Fortgang der Naturwissenschaft obsolet geworden war. Das Publikum hat zwar nicht viel davon mitbkommen, aber die Illusion von der "wissenschaftlichen Erklärbarkeit der Welt" ist seit inzwischen bald hundert Jahren wissenschaftlich widerlegt.

So kam es zu dem verblüffenden Kuriosum, daß der Materialismus sich in ein eigens von ihm erdachtes Jenseits flüchten mußte, um seinen Untergang hinauszuschieben. Sage einer, die Geschichte hätte keinen Humor!

Maoismus war idealtypisch für diesen irrwitzigen Versuch, gar nicht mal so sehr wegen dem ekligen Verehren von "Kommunistischen Göttern" (Mao; heute z.B. Kim-Yong-Il in Nordkorea), sondern wegen seiner Wurzeln in der östlichen Philosophie, der, wie du richtig sagst, das Auflösen des Ich nicht nur nicht fremd, sondern letztes Ziel der Erlösung ist - während christliche Erlösung eben kein Erlösen der Seele vom Körper, sondern immer ein Erlösen der Seele mit dem Körper ist. Marxismus (westlicher Prägung) war mithin gewissermaßen die letzte christliche Häresie ("Paradies auf Eden"), Maoismus und Neomarxismus (z.B. Frankfurter Schule) aber mußten "esoterisch" werden. Denn es gab gewissermaßen auf Erden keinen Platz mehr für sie :-)

Ich will mal versuchen, am Beispiel der Frage, wo unsere Welt herkommt, zu zeigen, was ich mit der Auflösung der Grundlagen der materialistischen Philosophie meine.

Naturwissenschaft und christliche Religion haben ja zunächst mal den selben Gegenstand: "die Welt". Beide kommen, wenn auch auf ganz unterschiedlichen Wegen, zu wahren Aussagen über ihren Gegenstand. Sie widersprechen sich deshalb nicht, sofern sauber gearbeitet wird, wenn insbesondere die historischen Umstände sowie die objektiven Grenzen der Methoden berücksichtigt werden.

Die Auffassung, die Welt sei heute "naturwissenschaftlich erklärt" und die Religion damit obsolet, zeugt von nichts als grenzenloser Naivität und Unwissenheit. Die Welt ist nicht nur keineswegs wissenschaftlich erklärt, es ist inzwischen sogar, wie gesagt, eine naturwissenschaftliche Tatsache, daß sie naturwissenschaftlich nicht erklärbar ist. Das wissen nur viele nicht: mehr und mehr haben ideologische Mythen sich wie ein Schleimpilz über jedes positive Wissen gelegt, bis eine von tieferer Bildung beraubte "Masse" sich im kollektiven Glauben an das NICHTS vereint findet...

Die naturwissenschaftliche "Königsdisziplin", die Physik, die ich sehr bewundere und verehre, kann nicht nur nichts darüber aussagen, was "vor" dem Urknall war bzw. was "außerhalb" unseres Universums ist. Sie kann nicht einmal wirklich etwas über die eigentliche Entstehung unseres Universums selbst sagen. Man wird nie herausfinden können, "was" der Urknall wirklich ist, denn er ist dem naturwissenschaftlichen Denken nicht zugänglich. Es gibt kein t=0 oder r=0! Das sind sinnlose Ausdrücke. Das physikalische Universum begann nicht mit dem Urknall, sondern als sog. "Planck-Welt". Dies leitet sich ab aus:

1.) dem Planckschen Wirkungsquantum h (Quantenmechanik)
2.) der Lichtgeschwindigkeit c (Spezielle Relativitätstheorie) und
3.) der Gravitationskonstanten G (Allgemeine Relativitätstheorie)

Die absolute Grenze für jede naturwissenschaftliche Zugänglichkeit ist erreicht, wenn die Heisenbergsche Unschärferelation gleich dem Schwarzschildradius wird (die Heisenbergsche Unschärferelation ist die Ortsunschärfe, bei der ein Teilchen gewissermaßen beim Beobachten anfängt zu "wackeln" und unbeobachtbar wird; der Schwarzschildradius ist der Radius eines Schwarzen Lochs, bei welchem die Entweichgeschwindigkeit gleich der Lichtgeschwindigkeit ist). Daraus ergibt sich zwingend das folgende "kosmische Alphabet" von elementaren Werten, die prinzipiell nicht unter- bzw. überschritten werden können:

Planck-Masse: 10^-8 g (das ist die kleinste Masse, die noch einen Schwarzschildradius besitzen kann)
Planck-Länge: 10^-33 cm (bei ihr wird für die Planck-Masse (s.o.) die Ortsunschärfe gleich dem Schwarzschildradius)
Planck-Zeit: 10^-43 sec (die braucht ein Lichtstrahl zum durchqueren der Planck-Länge)
Planck-Dichte: 10^93 g/cm³ (die größte Dichte, die überhaupt physikalisch möglich ist)
Planck-Temperatur: 10^32°k (die höchste physikalisch denkbare Temperatur)

Man kann das alles auf einem Bierdeckel ausrechnen. Das physikalische Universum beginnt also 10^-43 sec NACH dem Urknall als hochsymmetrische "Planck-Welt": eine vierdimensionale "Kugel" mit der Masse 10^-8 g und der Ausdehnung 10^-33 cm, die die 10^93-fache Dichte von Wasser hat, bei einer Temperatur von 10^32°K. Das weiß man sicher, denn es folgt aus den Naturgesetzen. Aber was "davor" war, weiß man eben nicht - und KANN es auch niemals wissen.

Aus der Planck-Welt kann man nämlich aus Prinzip nichts erfahren, unter anderem, weil man "dort" nicht unterscheiden kann zwischen Ursache und Wirkung. "Vorher" (im Grunde ein sinnloser Ausdruck; gemeint ist das "Sein" des Kosmos gewissermaßen "zwischen" der Quantenfluktuation, die wir Urknall nennen und ihrem ersten physikalischen Erscheinen als Planck-Welt) gibt es deshalb keine Physik, sondern nur Metaphysik. Der Urknall selbst bleibt für alle Zeiten naturwissenschaftlich unerforschbar.

Sämtliche Gesetze und Konstanten unseres Universums sind also definitiv nicht "entstanden", denn sie haben keine Evolution in der Zeit. Sie wurden "geschaffen vor aller Zeit", denn sie erscheinen zusammen mit der Planck-Welt und damit mit dem Beginn der Zeit überhaupt. Die Annahme, daß die Welt "geschaffen" wurde, ist nicht nur deshalb so sinnvoll, weil unsere Begrifflichkeit in keiner Weise den Kosmos "vor" der Planck-Welt erreichen kann, sondern weil all die vielen Naturkonstanten des Kosmos, jede einzelne von ihnen, so dermaßen fein abgestimmt sind, daß nur eine winzige Änderung auch nur einer dieser Konstanten mit absoluter (und berechenbarer) Sicherheit nicht zu einem Universum geführt hätte, in dem es uns geben könnte.

Sowohl der Glaube als auch die Natuwissenschaft postulieren hier zur begrifflichen Aussage dieses überaus "erstaunlichen" Tatbestands (von dem buchstäblich ALLES abhängt) gleichermaßen das sogenannte "anthropische Prinzip". Seine starke Form ist der Standpunkt des Glaubens: "Die Welt wurde geschaffen, damit es uns gibt." - Die Naturwissenschaft formuliert (wissenschaftlich sauber) dasselbe Prinzip in seiner sogenannten schwachen Form: "Es kann uns überhaupt nur in einer Welt geben, die so beschaffen ist, wie unsere Welt eben ist, weil es uns andernfalls gar nicht geben könnte. Es kann somit es keinen Beobachter geben, der eine Welt beschreiben könnte, die nicht so ist, wie es die unsere ist."

Das Letztere ist aber im Grunde eine sinnlose Tautologie, denn sie erklärt genau nichts. Auf jeden Fall ist es evident keine "Widerlegung" des Starken Anthropischen Prinzips, sondern eigentlich nur eine Ausflucht und eine Kapitulation - allerdings keine ehrlose, da positive Aussagen, die sich auf irgendein Wissen stützen könnten, hier eben nicht möglich sind. Indes ist genau dies die wahre "Frontlage" in der Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion: die Wissenschaft weiß NICHTS über die letzten Dinge, sie weiß inzwischen vielmehr, daß sie niemals etwas darüber wissen kann. Die Religion aber weiß ALLES darüber, hat nie etwas anderes behauptet und konnte dieses "Wissen" unwandelbar durch die Jahrtausende tragen. Es hat sich nur noch nicht allgemein herumgesprochen, daß es sich so herum und nicht umgekehrt verhält.

Warum sind die vorigen Sätze über das "schwache" Anthropische Prinzip richtig? Nun, es müßte zur Erklärung, warum es uns eben doch gibt, notwendigerweise den Zufall bemühen und gewissermaßen eine mutmaßlich "unendlich große Zahl von Universen" annehmen, von denen dann eines "das Richtige" wäre. Der Begriff des Zufalls aber ist selbst kein sinnvoll definierter Begriff und kann die Sache schon deshalb nicht erklären. Kein Mensch weiß nämlich zu sagen, was "Zufall" eigentlich seinem Wesen nach sei. Alle Definitionen von Zufall sind zudem operational. Vor allem: sie benötigen alle zwingend die Zeit!

Die der Evolutionsbiologie analoge Vorstellung einer "zufälligen Entstehung" von unzähligen Universen, von denen dann eines (nämlich unseres), eben "zufällig" so beschaffen ist, daß es uns geben kann, beschreibt schon deshalb nichts, weil es natürlich keinerlei Empirie gibt noch je geben kann, die eine solche Auffassung stützen würde. Aber die Sache ist schon in sich selbst und im Prinzip absurd und irreal: jede "Entstehung von Etwas" setzt ZEIT voraus. Zeit aber gibt es nunmal nicht jenseits der Planck-Welt.

Aus diesem Grund kann man das Starke Anthropischen Prinzip - die Glaubens-Aussage nämlich, daß die Welt von Gott geschaffen sei, und zwar auf den Menschen hin - nicht mit dem Schwachen Anthropischen Prinzip widerlegen. Quod erat demonstrandum.

Damit ist natürlich wiederum nicht Gott bewiesen, sondern es ist nur das über Ihn ausgesagt, was ja per definitionem Sein WESEN sei: unaussprechlich, jenseits aller Begriffe, und gewiß kein "Ding in der Welt". Alle Spekulationen über das Numinosum der Welt gründen notwendigerweise auf rein garnichts, vor allem aber eben nicht auf Wissenschaft. Bewiesen wurde also u.a. auch, daß Gott nicht wissenschaftlich widerlegbar ist.

Dennoch ist Er der menschlichen Erfahrung zugänglich. Und genau das, die evidente Erfahrung des Numinosen, ist der Grund für Religion. Sie ist im Prinzip jedem Menschen zugänglich, wird aber nicht von jedem gesucht. Darüber reden kann allenfalls der, der diese Erfahrung gemacht hat, während der, der sie nicht kennt, keinen einzigen Grund für die Annahme hat, daß es sie nicht gäbe. Die Frage ist somit ab hier nicht weiter diskutierbar.

Neomarxismus - ebenso wie Postmoderne - sind äußerste Versuche, gegen die Wirklichkeit die Illusion von der "menschengemachten Welt" aufrechtzuerhalten. Nichts ist dafür zwingender geboten, als das strikte Verpönen religiöser Erfahrung, denn der Spuk löst sich sofort in Nichts auf, sobald eine solche Erfahrung gewagt wird.

Je länger die Sache geht, desto haltloser wird sie aber. Die ideologischen Zerfallsprozesse, die durch dieses Festkrallen an der großen Lüge über den Menschen ausgelöst werden, rollen derweil über uns alle hinweg und brechen sich in der Seele jedes Einzelnen. "Feminismus" ist eine winzigkleine Kräuselwelle inmitten dieser gigantischen Gischt. Mehr nicht!

Eine dramatische Umbruchszeit, in der Tat!

Wohl dem, der hellwach ist... :-)

Gruß an dich
vom Nick


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