Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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Scholl-Latour: Zu unserer Kultur stehen!

susu, Thursday, 05.10.2006, 18:06 (vor 6481 Tagen) @ Zeitgenosse

Wenn jetzt bei Politikern und Leitartiklern die Wellen der Empörung über
die Absetzung der Mozart-Oper ?Idomeneo? an der Deutschen Oper in Berlin
hochschlagen, dann sollten sie nicht vergessen, sich auch darüber zu
echauffieren, was die Inszenierung von Hans Neuenfels bietet: Außer
Mohammeds Kopf wird dort auch das abgetrennte Haupt Jesu Christi gezeigt.
Daß Jesus gekreuzigt worden ist, reicht wohl nicht!

Das Ziel einer Hinrichtung ist i.d.R. das die hingerichtete Person in der Folge tot ist. In dieser Hinsicht - so schließe ich zumindest aus meiner Quelle dazu - war die Kruezigung tatsächlich nicht hinreichend, denn Jesus lief danach noch rum, was Tote selten tun. Die Enthauptung war als Hinrichtungsmethode römischen Bürgern vorbehalten, Sklaven oder bewohner der Okkupierten Gebiete wurden i.d.R. durch andere Methoden gerichtet. Es gibt mehrere christliche Märtyrer, die einige andere Hinrichtungen überlebten (verbrennen, vierteilen, zerfleischen durch wilde Tiere, etc.) um dann schließlich - entgegen der römischen Gepflogenheiten - enthauptet zu werden.

Natürlich dürfen wir
uns von der Möglichkeit von Drohungen nicht beeindrucken lassen, aber es
ist doch im Grunde bizarr, wenn nun ausgerechnet führende
christdemokratische Politiker sich für dieses Stück einsetzen. Wir haben
uns zu Recht über die Enthauptung von Gefangenen durch irakische Fanatiker
entrüstet. Wollen wir es ihnen denn gleichtun?

Kann hier jemand Fakt und Fiktion nicht außeinanderhalten? Wenn reale Fanatiker, reale Gefangene wirklich enthaupten, dann gibt es Grund sich zu empören. Genauso würde ich mich empören, wenn in der Schweiz ein Kommunalbeamter mit einem Armbrust niedergestreckt würde. Dagegen rege ich mich keineswegs auf, wenn irgendwo Schillers Willhelm Tell gegeben wird.

Ganz unabhängig von jeder religiösen Empörung handelt es sich bei der
Aufführung vor allem um eine zutiefst kritikwürdige Geschmacklosigkeit.

Über Geschmack läßt sich streiten. Und erst Recht darüber ob ein Theaterstück nicht auch geschmacklos sein darf, bzw. vieleicht sogar sein sollte.

Und man fragt sich, was soll das Ganze überhaupt? Zumal es dem Geist der
Oper, wie sie 1781 uraufgeführt wurde, vollkommen widerspricht.

Gute Frage. Mozart sah z.B. für die Rolle des Idamantes einen Kastraten vor, warum werden heute eigentlich keine Chorknaben mehr der schönen Künste wegen kastriert? Und warum die Version von 81? Mozart schrieb für die Inszenierung von 1786 teilweise Stücke um, arrangierte teilweise neu und fügte neue Teile hinzu. Und wäre nicht auch darüber zu reden das Mozart hier die Form der Opera Seria bewußt destruiert? Und entspricht daher nicht eine weniger "Werktreue" Inszenierung nicht viel eher dem Geist einer Oper, die sich durch ihren Mangel an Treue an die ihr abverlangte Form auszeichnet und deren Komponist sie selbst später umschrieb?

Warum
bringt heute eigentlich kaum noch ein Theater eines der klassischen Stücke
so auf die Bühne, wie es vom Autor einst verfaßt worden ist?

Das stimmt so nicht. Man findet auch heute noch mehrheitlich werktreue Umsetzungen. Nur sind die selten für einen öffntlichen "Skandal" gut. Wenn in der Bild etwas über Oper steht, dann wird da Jesus enthauptet, oder Schlingensief gibt den Ring.

Aus einer Oper
oder einem Theaterstück spricht der Künstler und spricht der Geist der
Zeit, Regie-Verfremdungen solchen Ausmaßes zerstören das alles. Warum
schreiben die Theatermacher sich nicht ihre eigenen Stücke, sondern tun
den Klassikern Gewalt an?

Scholl-Latour verkennt hier den Sinn von Inszenierungen. Eine Inszenierung, die ein Stück stark verfremdet richtet sich an ein Publikum, das das Original kennt. Es geht bei einer Verfremdung genau darum durch diese Methode in einen Dialog mit einem Stück zu kommen. Ein solcherart bearbeitetes Stück ist ein Werk über ein anderes Werk. Es stellt eine Interpretation des Ausgangsmaterials dar, die der Rezipient nicht teilen muß. Sie ermöglicht aber auf anderer Ebene als es eine interpretierende Analyse als sachlicher Text könnte einen Zugang zum originalen Stück. Die Frage ob es sich hierbei um Gewalt handelt ist meines Erachtens nach zu verneinen. Keine Form der Textanalyse, nicht einmal die Dekonstruktion ist eine Destruktion.

Zur Expo 2000 wurde der Faust in einer werktreue aufgeführt, die erst durch die moderne Technik möglich war. Goethes Stück beinhaltet traditionell unmögliche Regieanweisungen. Ist diese Aufführung nun werktreuer als die aufführungen denen Goethe selbst beiwohnte? Oder war für Goethe des Gedanke maßgeblich, daß das Publikum das Stück gelesen hatte und daher auf tatsächliche Ausführung der Regieanweisungen bei der Aufführung verzichtet werden könne - also ein tatsächliches Einhalten der Anweisungen gar gegen die Intention des Autors gerichtet?

Vor allem aber wollen wir offenbar immer noch nicht begreifen, daß wir dem
Islam nur begegnen können, wenn wir ? so wir schon den christlichen Glauben
nicht mehr haben ? wenigstens auf dem festen Boden unserer christlichen
Kultur stehen. Lassen wir es dagegen zu, daß unsere eigene Kultur ? man
muß es schon sagen ? regelrecht ?zur Sau gemacht? wird, dann sehe ich
schwarz für unsere Fähigkeit, diese Herausforderung zu bestehen.

1789!

In Berlin feiert man nun stolz die eben abgeschlossene erste
Islamkonferenz. Doch leider hat sie sich voraussehbarerweise als eine
reine Schauveranstaltung erwiesen. Wenn wir Europäer wirklich etwas tun
und nicht nur reden wollen, so sollten wir uns zum Beispiel endlich für
die orientalischen Christen einsetzen.

Endlich mal eine halbwegs sinnvolle Aussage. Die Frage ist natürlich, ob das irgendetwas mit den vorhergehenden zu tun hat. Und genauso wie wir uns für die Religionsfreiheit der Christen im Irak, Saudi Arabien und Libanon einsetzen, sollten wir auch über die Freiheit von Tibet reden. Und generell mal auf die UN-Menschenrechtskonvention pochen, die das ja auch beinhaltet. Weltweit. Und das bedeutet auch gegen Zensur zu sein und gegen die Legalisierung von Folter in den USA.

Dank der amerikanischen
Intervention sind etwa die Christen des Irak, die unter Saddam Hussein
noch Schutz genossen, mittlerweile in Gefahr. In den Libanon entsenden wir
Europäer Truppen, doch keiner spricht über die Lage der Christen dort.

Hier wäre natürlich die Möglichkeit gewesen statt ellenlagem Kulturpessimismus über genau diese Lage in einem Artikel zu schreiben. 64 von 128 Sitzen des Libanesischen Parlaments waren vor der zedernrevolution von Christen besetzt. 50%. Bei 30% Bevölkerungsanteil. Das lag an der Quotenregeleung, die eine 50-50 Verteilung festlegt. Bis 1989 war der Anteil der Christen auf 54.5% festgelegt. Die Verfassung ist laizistisch nach französischem Vorbild. 2005 stieg der Anteil auf 72 von 128 Sitzen! Nun ist der Libanon das Land in der Region mit dem größten Anteil an Christen. Meldung von Heute:

"In dem christlichen Wallfahrtsort Harissa im Libanon haben zehntausende Menschen an einer Demonstration teilgenommen, im Anschluss an einen Gedenkgottesdienst für gefallene Kämpfer christlicher Milizen. Nachdem zwei Tage zuvor der Chef der schiitischen Hisbollah-Miliz Hassan Nasrallah einen "Sieg" über Israel proklamiert hatte, erklärte Christen-Führer Samir Geagea, die Mehrheit der Libanesen teile diese Auffassung nicht und sehe nur eine große Katastrophe. Gegenwart und Zukunft des Landes seien den Kämpfen zwischen der Hibollah und Israel zum Opfer gefallen, sagte Geagea."

http://www.euronews.net/create_html.php?page=detail_info&article=381503&lng=3

Man beachte: "gefallene Kämpfer christlicher Milizen".

Wenn man sich die geschichte des Libanesischen Bürgerkriegs ansieht wird man vollends verwirrt:
"Am Anfang wurde vor allem zwischen der Nationalen Bewegung aus muslimischen, palästinensischen und linken Kräften und der Libanesischen Front aus christlichen, vor allem maronitischen Gruppen, gekämpft. Dazu kamen auch noch syrische Interventionen, die u.a. 1976 mit 20.000 Mann zu Gunsten der christlich-maronitischen Fraktion eingriffen. Innerhalb der Libanesischen Front gewannen die rechtsgerichteten Phalangisten der Maroniten unter Pierre Gemayel den dominierenden Einfluss. Seit 1979 kam es auch noch zu Kämpfen zwischen den sunnitischen (Murabitun-Miliz) und schiitischen Milizen sowie zwischen libanesischen und palästinensischen sowie prosyrischen (Amal-Miliz) und proiranischen (Hisbollah) Gruppierungen. Auch die Entsendung einer Mission der Vereinten Nationen (UNIFIL) 1978 führte nicht zur Beendigung des Konfliktes." (Wikipedia)

Ein
weiteres Beispiel ist das völlig inakzeptable ? und übrigens koranwidrige
? Verbot von Bibel und Kreuz in Saudi-Arabien. Europa sollte klarmachen,
daß ? sollte sich daran nichts ändern ? es zu Gegenmaßnahmen bereit ist.

Zum einen fällt da das "Koranwiedrig" auf. Darüber sollte sich doch wohl ein Dialog führen lassen mit Muslimen aus der Region. Die zweite Frage wäre natürlich: Welche Art von Gegenmaßnahmen? Mit Krieg zu drohen bedeutet auch, Agression gegenüber Europa heraufzubeschwören und Saudi Arabien ist wirtschaftlich nicht von Europa abhängig, Europa dagegen ist vom Öl abhängig. Wie man das löst wäre eine gute Frage.

Und wir sollten auch nach dem Umstand fragen, daß der Koran für Christen
und Juden lediglich die untergeordnete Stellung von ?Dhimmi? vorsieht.
Auch das müßte Gegenstand eines Dialogs sein.

Richtig, genauso wie die Bibel und die Thorah jeweils eine untergeordnete Stellung für Nicht-Christen bzw. nicht-Juden vorsehen. Die Frage ist nun, ob sich diese Glaubensvorschriften zumindest politisch abschwächen lassen.

susu


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