Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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Scholl-Latour: Zu unserer Kultur stehen!

susu, Monday, 09.10.2006, 03:56 (vor 6477 Tagen) @ Chato

Dafür trete ich auch ein, denn es ist zur Reife gelangtes Christentum:
Früchte des christlichen Abendlandes.

Das ist meiner Ansicht nach Unsinn. Finde die Bibelstelle, die für Glaubensfreiheit eintritt. Finde die Bibelstelle, die die Aufklärung vorwegnimmt. Bestimmendes Element des Christentums ist der Erlösungsgedanke durch Christus. Bestimmendes Element der Aufklärung ist der Ausgang des menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, mit Hilfe seines Verstandes.

Aber es sind zivilisatorische
Formen, nicht kulturelle Inhalte. Das tödliche Dilemma, in das uns der
atheistische Säkularismus als totalitäre Ideologie geführt hat ist, daß
diese Formen nun nicht mehr mit Inhalt gefüllt werden.

Säkularismus kann nicht atheistisch sein. Atheismus ist eine Religiöse Position. Wäre der Säkularismus atheistisch, wäre er nicht säkulär. Kulturelle Inhalte existieren immer noch, sie sind nur längst nicht mehr als monolithisches Dogma festgeschriben. Die Kultur ist im Fluß, ihr difuser Kern verschmilzt durch Praktiken der Intertextualisierung zu einer Rhizomatischen Struktur. Die Kultur hat kein Heiliges Buch mehr, sie hat nur noch Nodes. Kultur muß heute heißen: Rezeption ist Produktion. Die Referenz ist eine Kunstform.

Bei einer Kultur
geht es aber nunmal um die ganz spezifischen Inhalte, die ja die Kultur
erst begründen. Und die kann man sich nicht aussuchen, sondern die sind
ererbt und können nur - und müssen - gestaltet werden. Die Inhalte
europäischer Kultur, so sage ich, wurden mutwillig zerstört zu Gunsten
einer vermeintlichen Freiheit des bindungslos gewordenen Individuums, die
darin bestünde, tun und lassen zu dürfen, was man will und die
Konsequenzen dieses infantilen Egoismus "irgendwohin" zu verschieben.

Ach Nikos. Das Individuum ist doch längst auch weg. Das Subjekt ist zerfallen, anstelle in einer homogenen Masse unterzugehen, zerfällt es, zerpringt in seiner eigenen Brust und pluralisiert noch die letzte Bastion des platonischen Geistes: sein der nicht-Existenz verdächtig gewordenes und schließlich überführtes Selbst. Cogitamus ergo sunt!

Ein säkularer Staat und die Gottlosigkeit einer Gesellschaft sind nicht
eine, sondern zwei Sachen. Die Trennung von weltlicher Macht und Religion
ist urtümlich christlich ("gebt dem Kaiser, was des Keisers ist") und das
Ringen um diese Trennung durchzieht deshalb die Geschichte des Abendlandes
(und nur die des Abendlandes).

Es gab dieses Ringen nicht - bis zur Aufklärung. Ich jedenfalls sehe - wenn ich mal von monastischen Gruppen absehe, die allerdings gern mal Opfer der hl.Inq. wurden - kaum Ansätze.

Die Reformation war in der Frage
übrigens ein verhängnisvoller Rückschritt, indem sie die Universalität der
Kirche der elenden Verbindung von Thron und Altar opferte.

Ich sag nur: Canossa. Krönungsmonopol des Papstes. Gegenpäpste.

"Staatskirchen"
sind eine Erfindung der Reformatoren, und ihr Antipode war und ist der
römische Universalismus. Der säkulare Staat wird verspielt, wenn aus der
Trennung von Staat und Religion die Abschaffung der Religion durch den
Staat wird, wie es in verschiedenen Formen seit gut 200 Jahren geübt wird.

Du sagst also der Code Napoleon habe keineswegs zur Säkularisierung geführt, sondern zum Gegenteil?! Der zweite Stand habe keine Vorrechte besessen vor 1789?

Das Christentum, euer eigenes Erbe, habt ihr ausgeschlagen. Ihr habt euch
damit freilich leider jämmerlich ins eigene Knie geschossen, sitzt nun
bewegungsunfähig in eurem Rollstuhl und müßt impotent dabei zusehen, wie
ihr eine Religion verpaßt kriegt, die euch nicht mehr machen läßt, was ihr
wollt. Das ist eine Tragödie, in der Tat. Aber sie betrifft die, die sie
heraufgeführt haben. Sage keiner, Gott sei nicht gerecht.

Holla: "Wie ihr eine Religion verpasst kriegt". Daraf sage ich: Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.

Freilich, Susu, was jemand glaubt, darf er sich selbst aussuchen. Ich
begrüße das ausdrücklich, denn es ist verwirklichtes Christentum. Ich
weise lediglich darauf hin, daß er damit automatisch auch die Konsequenzen
seiner Wahl mitwählt und sie zu tragen hat. Redefreiheit nennt man, was ich
wahrnehme, wenn ich darauf hinweise.

Ich verbiete dir ja ausdrücklich nicht Blödsinn zu reden, sondern nehme meinerseits das Recht in Anspruch...

Wissenschaften sind nicht die ganze Vernunft, sondern nur ein kleiner Teil
von ihr. Wo reproduzierbare Resultate möglich sind, ist es vernünftig, nach
ihnen zu suchen und sie zu studieren, denn man erfährt etwas über die Welt,
in der man lebt, wenn man es tut. Aber man begreift sie nicht, denn es sind
grundsätzlich Bilder, die man gewinnt, nicht die Wirklichkeit selbst. Die
Annahme, lediglich das, was reproduzierbare Resultate liefere, sei
wirklich, ist keineswegs vernünftig, sondern verrückt. Die Wirklichkeit
hat überhaupt keinen Grund, auf die Grenzen unseres Fassungsvermögens
Rücksicht zu nehmen. Täte sie es übrigens, dann gäbe es uns überhaupt
nicht (ein nettes Paradoxon, nebenbei :-)).

Oh nö...
http://www.wgvdl.com/forum/index.php?id=2790

susu


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