Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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Scholl-Latour: Zu unserer Kultur stehen!

Chato, Monday, 09.10.2006, 07:33 (vor 6477 Tagen) @ susu

Das ist meiner Ansicht nach Unsinn. Finde die Bibelstelle, die für
Glaubensfreiheit eintritt. Finde die Bibelstelle, die die Aufklärung
vorwegnimmt. Bestimmendes Element des Christentums ist der
Erlösungsgedanke durch Christus. Bestimmendes Element der
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst
verschuldeten Unmündigkeit, mit Hilfe seines Verstandes.

Finde den Apfel im Apfelkern... Schlichtweg alles, was wir hier und heute vorfinden, ist die Frucht des christlichen Abendlandes, weil dies unsere Geschichte ist. Die Erlösungstat Christi ist ein Angebot, das seit 2000 Jahren jedem Menschen offensteht. Wer es annimmt, erlangt innere Gewißheit darüber, daß dies keine Täuschung ist. Mehr kann man darüber leider nicht sagen, denn es ist keine Idee, sondern eine Tat.

Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit hingegen ist bekanntlich total gescheitert (wäre es anders, dann könnte es u.a. nicht so ein Forum wie dieses hier geben). Warum? Er konnte nicht funktionieren, weil er mit dem Verstand allein versucht wurde und derselbe nunmal dafür nicht hinreicht. Das war der entscheidende Webfehler im Aufklärungsgedanken, der solange und erst recht in umso schlimmerer und umso selbstverschuldeterer Unmündigkeit enden muß, wie dieser Fehler nicht mit Hilfe des Verstandes durchschaut und berichtigt ist. Dazu nämlich ist der menschliche Verstand sehr wohl in der Lage: seine Grenzen zu erkennen. Ich gehe so weit zu sagen, daß er dazu ausdrücklich da ist. Man könnte das mit dem Begriff Realismus beschreiben. So wie ich es sehe, stehen wir inzwischen vor der Wahl, unseren Verstand zu verlieren oder ihn zu behalten. Ich habe mich für das zweite entschieden.

Säkularismus kann nicht atheistisch sein. Atheismus ist eine religiöse
Position. Wäre der Säkularismus atheistisch, wäre er nicht säkulär.
Kulturelle Inhalte existieren immer noch, sie sind nur längst nicht mehr
als monolithisches Dogma festgeschriben. Die Kultur ist im Fluß, ihr
difuser Kern verschmilzt durch Praktiken der Intertextualisierung zu einer
Rhizomatischen Struktur. Die Kultur hat kein Heiliges Buch mehr, sie hat
nur noch Nodes. Kultur muß heute heißen: Rezeption ist Produktion. Die
Referenz ist eine Kunstform.

Säkularismus ist meiner Ansicht nach tatsächlich nicht säkulär, sondern wie jede Ideologie ein ausgesprochen religiöses Surrogat, auch wenn das Heilsversprechen inzwischen zugegebenermaßen reichlich mickrig ausfällt. Aber die Nummer ist ja nun schon so oft vergeblich durchprobiert worden, da kann man verstehen, daß bloß noch eine Tüte Pommes mit Mayo als Gipfel des Glücks herauskommt. Den Rest von dem, was du da schreibst, verbuche ich als deine Wahlentscheidung hinsichtlich des Schicksals deines Verstandes. Ich habe da, wie ich eben bereits sagte, eine andere Wahl getroffen. Niemand zwingt einen schließlich mitzumachen, wenn die Welt ihren Verstand verliert. Das muß man schon selber aktiv wollen. Aber wenn man es wirklich will, dann geschieht es natürlich auch. Das ist klar.

Ach Nikos. (Ähem, räusper... ich bin Nick; Nikos ist der Grieche :-)
Das Individuum ist doch längst auch weg. Das Subjekt ist zerfallen,
anstelle in einer homogenen Masse unterzugehen, zerfällt es, zerpringt
in seiner eigenen Brust und pluralisiert noch die letzte Bastion des
platonischen Geistes: sein der nicht-Existenz verdächtig gewordenes
und schließlich überführtes Selbst. Cogitamus ergo sunt!

Komisch. Meine Individualität ist nicht weg und mein Subjekt ist auch nicht zerfallen oder in einer homogenen Masse untergegangen. Da scheint es irgendwie Unterschiede zu geben. Ich weiß natürlich, wovon du redest. Aber das ist keineswegs notwendig, auch wenn es inzwischen vielen so ergeht. Man darf durchaus die Option wählen, seinen Verstand zu behalten.

Ich zuvor:

Die Trennung von weltlicher Macht und Religion ist urtümlich christlich und das Ringen
darum durchzieht deshalb die Geschichte des Abendlandes (und nur die des Abendlandes).

Du darauf:

Es gab dieses Ringen nicht - bis zur Aufklärung.
[...]
Ich sag nur: Canossa. Krönungsmonopol des Papstes. Gegenpäpste.

Ich sprach vom "Ringen"! Das heißt, es wogte dauernd der Kampf um die wechselseitige Unabhängigkeit von geistlicher und weltlicher Autorität - und das bedeutet natürlich: es gab sie meistens nicht in idealer Weise. Aber die begriffliche Unterscheidung von "geistlicher und weltlicher Autorität" allein belegt doch schon dieses Ringen. Deine Beispiele gehören ausdrücklich dazu: Canossa (da ging es explizit um diese Frage!), Krönung (nicht Wahl!) des Kaisers durch den Papst, Gegenpäpste (z.B. vom französischen König nach Avignon versetzt) usw. - all dies belegt doch, was ich sagte: Im christlichen Abendland gab es weder Gottkönige noch Theokratien, wie man das aus anderen Kulturen kennt, aber das hat manchen Potentaten nicht besonders gefallen und sie haben deshalb immer wieder mal - bis zum Ende des Mittelalters vergeblich - versucht, das abzuschaffen. Du selbst nennst doch die passenden Beispiele. Staatskirchen freilich gab es erst ab dem 16. Jahrhundert. Das Mittelalter wäre nicht einmal im Traum auf so eine Idee gekommen!

Daß unsere heutige Gewaltenteilung noch nicht explizit in der Bibel drinsteht, mögest du übrigens dem armen, alten Buch bitte nachsehen. Es steht halt am Anfang einer Geschichte, die erst an ihrem Ende zur Reifung fand. Gibt es Entwicklungen, die anders herum verlaufen? Ja, ich denke Fäulnisprozesse verlaufen anders herum: erst Reife, dann Fäulnis...

Oh nö...
http://www.wgvdl.com/forum/index.php?id=2790

Oh nö... :-)

Chato alias Nick
(Nichtgrieche)


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