Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Rechnen wir mal kurz

Garfield, Wednesday, 27.07.2005, 13:17 (vor 7051 Tagen) @ carlos

Als Antwort auf: Re: Rechnen wir mal kurz von carlos am 26. Juli 2005 19:44:

Hallo Carlos!

Mir ist bewußt, daß es vor allem die Großunternehmen sind, die vom deutschen Steuersystem profitieren und daß die größte Steuerlast theoretisch von kleinen und mittleren Unternehmen getragen wird. Praktisch ist es aber natürlich auch bei diesen Unternehmen so, daß diese Steuerlast an die Kunden und Beschäftigten weiter gegeben wird. Wenn solch ein Unternehmen trotzdem pleite geht, dann liegt das weniger an der hohen Steuerlast, sondern mehr daran, daß die Märkte durch die zunehmende Erwerbslosigkeit eben auch zunehmend wegbrechen. Bei einer Umfrage unter kleinen und mittleren Unternehmen vor etwa einem Jahr wurde als größtes Problem deshalb auch nicht die Steuerbelastung oder die Lohnkosten angegeben, sondern die Tatsache, daß die Kunden zunehmend ausbleiben.

Und auch bei mittleren und kleinen Unternehmen muß man differenzieren. Es gibt auch da genügend schwarze Schafe.

Ein Kollege meines Vaters hat sich mal selbstständig gemacht. Er hatte nur wenige Mitarbeiter und hat deshalb selbst auch voll mitgearbeitet. Er mußte vorher einen Kredit aufnehmen und hatte so nach Abzug der Kreditraten, Steuern usw. monatlich weniger Geld übrig als seine Beschäftigten netto ausgezahlt bekommen haben. Ich denke, das läuft bei Unternehmensgründern gar nicht selten so.

Es gibt aber eben auch andere Fälle. So hat meine Mutter mal in einer kleinen Firma gearbeitet, wo der Chef grundsätzlich mindestens einmal im Jahr Urlaub auf Mallorca machen mußte. Aber selbstverständlich nicht am Ballermann in einem Billig-Hotel, sondern mit allem erdenklichen Luxus. Seine Harley-Davidson wurde dann mit eingeflogen, er mietete sich für die Zeit eine Luxus-Jacht und machte da richtig auf dicke Hose. Nach so einem Urlaub war er jedesmal dermaßen pleite, daß seine Beschäftigten erst einmal mindestens einen Monat lang nicht bezahlt wurden. Die konnten dann zusehen, wovon sie ihre Miete, Kreditraten usw. zahlen. Selbstverständlich hat er auch nicht selbst mitgearbeitet - dafür war er sich viel zu fein.

Großunternehmen schieben gern kleine Unternehmensgründer vor, wenn es ihnen darum geht, neoliberale Forderungen durchzudrücken. Tatsächlich profitieren diese kleinen Unternehmen aber kaum davon. Ein winziges Ein-Mann-Unternehmen beispielsweise hat nichts davon, wenn die Löhne sinken und es keinen Kündigungsschutz mehr gibt. Und auch kleine Unternehmen mit wenigen Beschäftigten profitieren entsprechend wenig davon. Für Großunternehmen mit vielen Beschäftigten dagegen lohnt sich das richtig. Die sparen dabei wirklich viel Geld - und das können sie dann einsetzen, um ihre Positionen am Markt noch weiter zu stärken und kleinere Unternehmen noch mehr vom Markt zu drängen. Da sie obendrein auch noch hohe Werbebudgets haben (die können sie ja locker von der Steuer absetzen), sind sie von dem mit Lohnsenkungen immer verbundenen Kaufkraftrückgang auch noch weniger betroffen als kleine Unternehmen, die sich keine teuren Werbe-Kampagnen leisten können.

Und was Gewerkschaften angeht: Ja, auch da gibt es Probleme. Alles, was du dazu geschrieben hast, sehe ich ebenfalls so. Deshalb kann man Gewerkschaften aber auch nicht pauschal verteufeln. Leider brauchen wir sie heute mehr als jemals sonst in den letzten Jahrzehnten.

Hartz 4 kam zu spät? Das sehe ich anders. Mit Hartz 4 hat man nichts weiter getan, als einfach pauschal den Erwerbslosen die Schuld an ihrer Erwerbslosigkeit zuzuschieben und von ihnen noch nachdrücklicher zu verlangen, da aus eigener Kraft wieder heraus zu kommen. Und bedenken muß man dabei auch, daß Arbeitslosengeld keine mildtätige Gabe des Staates ist, sondern eine Versicherungsleistung, für die vorher Beiträge von den Empfängern gezahlt worden sind. Wenn diese Versicherungsleistung nun ohne nennenswerte Senkung der Beiträge gekürzt wird, dann bedeutet das schlicht und einfach, daß man weniger für sein Geld bekommt als bisher. Wäre es eine ganz normale, freiwillige Versicherung, dann könnte nun jeder Betroffene einfach die Konsequenzen daraus ziehen und diese Versicherung kündigen. Leider geht das aber nicht, weil die Masse der Beschäftigten gesetzlich verpflichtet ist, in diese Versicherung einzuzahlen.

Und bei Hartz 4 übersieht man auch noch wohlweislich, daß es gar nicht genügend Erwerbsmöglichkeiten für alle Arbeitssuchenden gibt. Und durch Lohndrückerei wird sich das auch ganz sicher nicht ändern, ganz im Gegenteil: Zwar bringt das den Unternehmen kurzfristig mehr Gewinn, aber langfristig wird so der Binnenmarkt weiter geschwächt, was dann zu weiteren Unternehmens-Pleiten und weiteren Erwerbslosen führt.

Hartz 4 löst also die bestehenden Probleme nicht, sondern verschärft sie sogar noch.

"Stichwort nochmals Qualifizierung: „Liebherr“ war früher einmal ein erfolgreicher deutscher Elektro-Konzern, bis er von unfähigen Idioten in die Buddelkiste gesetzt wurde. Chinesische Investoren kauften sich den Konzern samt Rechten, nannten ihn fortan „Haier“ und bauten ihn aus. „Haier“ stellt mittlerweile selbst entwickelte, erstklassige, elektronische Spitzenprodukte her, und das zu akzeptablen Preisen. Den Weltmarkt werden sie damit noch aufmischen..."

Ja, das ist wieder ein typischen Beispiel für Management-Fehler. Auch viele deutsche Fernsehhersteller sind keineswegs untergegangen, weil die Lohnkosten in Deutschland zu hoch waren, sondern weil sie zu lange an veralteter Technologie festgehalten haben.

"Anstatt Tariflöhne einzufordern, in der Folge die Pleite des Betriebes und die eigene Arbeitslosigkeit zu riskieren, arbeiten eben viele untertariflich."

Ja, und deshalb geht es im Osten ja auch kaum vorwärts. Die Märkte sind dort aufgrund der niedrigen Einkommen einfach zu schwach. Das ist nämlich immer die Kehrseite der niedrigen Einkommen.

"Wäre der Staat nicht so pleite, dann müßte er, abgesehen von einer generellen Vereinfachung und der Abschaffung der Bagatellsteuern, deren Erhebung schon mehr kosten, als sie erbringen, die Lohnsteuer, gemessen an Progression und Ertrag, durchweg halbieren."

Tja, und wieso ist der Staat pleite? Das liegt ja u.a. auch daran, daß immer wieder Milliarden-Geschenke an die Wirtschaft gezahlt werden. Da wurden dann beispielsweise mal locker hunderte Millionen DM an ein Spanplattenwerk mit ca. 150 Mitarbeitern gezahlt, mit der Begründung, so Arbeitsplätze zu sichern. Wenn man jedem dieser 150 Mitarbeiter 500.000 DM ausgezahlt hätte, hätten die damit locker leben können und den Staat hätte es weniger gekostet. So war kurz darauf der Geschäftsführer leider verschwunden, mit ihm das Geld, und die 150 Mitarbeiter sind dann doch allesamt rausgeflogen...

Es ist ein riesiger Sumpf aus Korruption und Mißwirtschaft zwischen Wirtschaft und Politik, der ebenfalls dazu beiträgt, die Situation immer weiter zu verschlechtern.

"Die Sache ist doch im Grunde recht einfach, Garfield: Es gibt Mittelständler, die der direkten Konkurrenz mit Ost-Europa ausgesetzt sind; andere (momentan noch) nicht (so sehr; je nach Lage). Gestern in „Fakt“: Ein deutscher LKW-Fahrer kostet den Arbeitgeber mehr als doppelt so viel wie zwei Tschechen..."

Ja, wer osteuropäische Löhne zahlen möchte, muß sich aber damit abfinden, daß dann auch seine Einnahmen in Zukunft entsprechend sinken werden. Osteuropäische Löhne mit deutschen Lebenshaltungskosten sind nun einmal nicht möglich.

"Bedankt euch bei Herrn Kohl, dem ihr die „blühenden Landschaften“ abgekauft habt."

Ich selbst habe dem gar nichts abgekauft. Aber leider sahen das viele Ostdeutsche 1990 anders.

"Die Ossis sollen ruhig PDS, also die Pleitiers und Mörder von gestern, wählen und sehen, was dann passiert."

Wenn du sichergehen willst, keine DDR-Pleitiers und -Mörder von gestern zu wählen, darfst du überhaupt nicht wählen gehen! :-)

"Wenn deswegen – um mir gewaltsam nur eine positive Konsequenz auszumalen - auch nur ein einziger Arbeitsplatz entsteht, fresse ich einen Besen samt Putzfrau."

Tja, aber durch die Politik von Rot/Grün und Schwarz/Gelb sind bisher auch nur immer mehr Erwerbsmöglichkeiten vernichtet worden! Das kannst du der offiziellen Arbeitslosenstatistik entnehmen. Wie kommst du darauf, daß sich das in Zukunft ändern wird?

Freundliche Grüße
von Garfield


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