Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: meine letzten Bemerkungen dazu

Garfield, Thursday, 28.07.2005, 21:52 (vor 7050 Tagen) @ VWL-Experte

Als Antwort auf: Re: meine letzten Bemerkungen dazu von VWL-Experte am 28. Juli 2005 17:00:

Hallo VWL-Experte!

"Ist halt ein Kreislauf: Löhne runter-Preise runter-Löhne weiter runter-Preise noch weiter etc. Nennt man Deflation."

Ja, genau, und mit dem jetzigen System kommen wir da auch nicht mehr heraus.

"Ich werf ja niemanden vor, billig einzukaufen. Mach ich ja auch. Aber die Konsequenzen kann ich dann halt auch nicht leugnen."

Das Problem besteht eben darin, daß immer mehr Menschen tatsächlich gezwungen sind, billig zu kaufen. Somit sind nicht sie für diese Konsequenzen verantwortlich, sondern diejenigen, die sie - beispielsweise durch Lohnsenkungen oder durch Erhöhung von Preisen, Steuern und Abgaben - dazu zwingen.

"Gerade im unteren Sektor (Geringqualifizierte) zeigt sich ein überdurchschnittlicher Wert. Und in diesem Bereich haben wir auch die meisten Arbeitslosen."

3,96 Euro Stundenlohn bei einer 60-Stunden-Woche nennst du überdurchschnittlich? Soviel verdient ein Wachmann in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei muß man bedenken, daß auch die Geringqualifizierten die hohen deutschen Lebenshaltungskosten tragen müssen. Auch wenn sie dann kleinere Wohnungen haben und mit allem sparsam sind - die Kosten für Strom, Wasser, Heizung, Müllabfuhr, Benzin usw. sind für sie auf eine bestimmte Menge gerechnet nicht geringer als für einen Spitzen-Manager. Da die deutschen Lebenshaltungskosten nun einmal überdurchschnittlich hoch sind, müssen zwangsläufig auch die Löhne der geringqualifizierten Beschäftigten höher sein als in manchen anderen Ländern. Wenn dein Lohn nicht ausreicht, um deine Lebenshaltungskosten zu decken, dann kannst du nicht mehr arbeiten. Weil du dann schlicht und einfach nicht mehr leben kannst. So einfach ist das.

"Natürlich gibts ungerechte Verteilungen im System. Das bestreite ich gar nicht."

Das Problem besteht darin, daß diese ungerechten Verteilungen keine Einzelfälle sind. Und die Verteilung wird immer ungerechter, denn die Statistik weist aus, daß es immer weniger Menschen mit immer mehr Besitz gibt, gleichzeitig aber immer mehr Menschen mit immer weniger Besitz. Die Mittelschicht dazwischen bröckelt zunehmend weg, und zwar nach unten. Diese gigantische Umverteilung von Besitz von unten nach oben bringt den Wirtschaftskreislauf zunehmend aus dem Gleichgewicht.

"Aber ich weiß nicht, ob Kommunismus da gerechter ist. Da profitiert halt dann das Politbüro. Musst halt schauen, dass du da dazu gehörst."

Es geht nicht um Kommunismus. Dafür gibt es in absehbarer Zukunft überhaupt keine reale Grundlage. Ich denke sogar, daß es so etwas niemals geben wird. Es geht darum, die altbewährte soziale Marktwirtschaft wieder aufzubauen. Wenn das mit den bisherigen Mitteln nicht geht, dann müssen neue Mittel her. Ansonsten bleibt nur eine Alternative: Der allmähliche Niedergang und ein Ende im Chaos. Auf Grundlage dieses Chaos könnte sich dann eventuell etwas Neues entwickeln, aber die Masse der Bevölkerung müßte dafür erst einmal durch Not und Elend gehen.

"Liegt zum großen Teil daran, dass der Russe gerne SÄUFT, vor allem Selbstgebranntes. Liegt auch daran, dass die "alte Garde" aus Sozialismus-Zeiten sich nach dessen Ende natürlich die besten Pfründe gesichert hat, oder woher glaubst du hat Abramowitsch sein Geld. Oder Putin. Da haben sich die Parteigenossen halt schön bedient. Da blieb für den NORMALO natürlich wenig."

Es spielt keine Rolle, wer das viele Geld hat. Ob das nun ein Glückspilz wie Bill Gates ist, der nur zur rechten Zeit am rechten Ort war, oder ein Erbe einer traditionell schwerreichen Industriellenfamilie oder ein ehemaliger Parteifunktionär - sie wollen alle dasselbe: Raffen und noch reicher werden, ohne Rücksicht auf andere. Das Problem in Rußland ist prinzipiell dasselbe wie hier, nur mit dem Unterschied, daß es dort nie eine soziale Marktwirtschaft gegeben hat. Da wurde sofort der pure Kapitalismus eingeführt, also genau das, was die Neoliberalen hierzulande als Allheilmittel für sämtliche Probleme propagieren.

"1.) Die Unternehmer wissen, dass sie nichts verkaufen, wenn keiner Geld hat."

Ja, das wissen sie. Aber sie ignorieren es trotzdem. Den Großunternehmen sind andere Märkte mittlerweile sowieso wichtiger. Wenn der deutsche Markt ausgesaugt ist, dann ziehen sie sich einfach zurück. Und der Rest unserer Wirtschaftslenker übt sich in Wunschdenken. Letztendlich können sie ja auch gar nichts anderes tun. Wer sich dem Trend widersetzt, der wird vom Markt verdrängt. So hofft halt jeder, daß seine Kunden hoffentlich zufällig nicht zu sehr an Kaufkraft verlieren werden.

Da ist eben die Politik gefragt. Sie muß die Rahmenbedingungen festlegen, nach denen sich dann auch die Wirtschaft zu richten hat.

Ein Beispiel dafür: Im 19. Jahrhundert gab es immer wieder Unternehmer, die erkannten, wie schlecht die Situation vieler Arbeiter war. Sie fühlten sich für ihre Arbeiter verantwortlich und wollten ihre Situation verbessern. Also bezahlten sie sie besser, stellten ihnen Wohnungen zur Verfügung usw. Leider war das aber nur eine Minderheit unter den Unternehmern. Die Masse hatte nur Profit um jeden Preis im Sinn. So wurden die verantwortungsbewußten Unternehmer häufig vom Markt verdrängt und gingen als utopische Sozialisten in die Geschichte ein. Es gab nur wenige unter ihnen, die es schafften, wirtschaftlich zu überleben - und das meist auch nur deshalb, weil sie so fortschrittliche Produkte herstellten, daß sie praktisch keine Konkurrenz am Markt hatten.

Bismarcks Sozialgesetze waren dann nicht nur für die Arbeiter gedacht, sondern auch für solche verantwortungsbewußten Unternehmer. Sie schufen Rahmenbedingungen, an die sich alle zu halten hatten. Da konnte dann kein Unternehmen mehr vom Markt verdrängt werden, weil es seinen Arbeitern bestimmte Vorteile gewährte.

So etwas brauchen wir jetzt wieder. Aber das allein reicht nicht. Wir müssen Möglichkeiten finden, um auch die Bevölkerung von der Maschinenarbeit profitieren zu lassen, und nicht nur einige wenige Reiche.

"2.) Gibts dann sowieso Revolution."

Nicht unbedingt. Zunächst wird die Kriminalität ansteigen. Die Reichen in ihren gut bewachten Villenvierteln werden davon weniger betroffen sein. Auch diese Last wird wieder die Masse der Bevölkerung tragen müssen.

"Ich kann nix dafür, dass der Chinese für 100 Euro im Monat arbeitet. Und wenn die Afrikaner erst anfangen, dann gute Nacht."

Das ist nicht der Punkt. Es geht gar nicht so sehr um Lohnkosten. Noch ein Beispiel aus der Praxis:

Wie schon erwähnt, habe ich mal in einer Fahrradfabrik gearbeitet. Dort wurden die Rahmen zunächst von Hand geschweißt. Dann wurde ein Schweiß-Roboter angeschafft. Weil die Auftragslage gut war, entließ man die Schweißer nicht, sondern setzte sie anderswo ein. Manchmal brauchte man sie auch noch, denn der Roboter konnte nur Eisen-Rahmen schweißen. Aluminium-Rahmen mußten weiterhin von Hand geschweißt werden. Dann wurde ein zweiter, noch modernerer Roboter angeschafft, der Aluminium-Rahmen schweißen konnte. Die Produktion der Rahmen lief nun also vollautomatisch, mit minimalen Personalkosten. Klar brauchte man noch Leute, die Rohre zu den Robotern brachten und die fertigen Rahmen später zur Lackierung fuhren. Aber die hätte man auch gebraucht, wenn man die Rahmen angekauft hätte. Dann hätte man sie ja auch aus dem LKW laden und zur Lackierung bringen müssen.

Trotzdem hat man dann auch noch die Roboter still gelegt und die Rahmen aus Asien angekauft. Mir kann nun keiner erzählen, daß in Asien Menschen billiger arbeiten als Roboter. Ich erkläre mir das so:

In Asien lebt der größte Teil der Weltbevölkerung. Allein in China und Indien lebt ja schon fast die Hälfte der Menschheit. Was liegt also näher, als dort ein Werk zu bauen, wo man so viele potentielle Kunden direkt vor Ort hat? Also zieht man dort ein riesiges Werk auf, in dem Fahrradrahmen in Massen zusammen geschweißt werden. Selbstverständlich setzt man dabei auch Roboter ein, denn die haben Menschen gegenüber diverse Vorteile. Sie arbeiten z.B. rund um die Uhr und auch viel schneller. Je mehr man nun aber produziert, umso niedriger sind die Kosten pro Stück. So kann so eine Riesenfabrik eben so billig produzieren, daß selbst mit den Kosten für den Transport nach Europa ein einzelner Rahmen immer noch billiger ist als wenn er hier in einer kleinen Serie von einem Roboter geschweißt wird.

Hier würde man so ein Riesenwerk nicht bauen - weil es hier eben weniger Bevölkerung und damit auch nicht so große Märkte gibt. Und da kann nun ein Schweißer kommen und einem deutschen Fahrradwerk anbieten, für 1 Euro pro Stunde zu arbeiten - das wird niemanden interessieren und rein gar nichts ändern.

Die Manager des Fahrradwerkes werden dann zwar das Gegenteil behaupten, aber nicht etwa, weil sie den Schweißer für einen Euro pro Stunde einstellen wollen. Nein, es gibt eben immer noch Jobs, die sie nicht so einfach wegrationalisieren können. Und da wäre es natürlich äußerst profitabel, wenn die Leute, die diese Jobs machen, für einen Euro pro Stunde arbeiten würden. Deshalb behauptet man, daß das nötig wäre.

"Wenn wir mal echt davon ausgehen, dass nur noch 20 % arbeiten, wie finanziertst du dann die anderen."

Durch Maschinenarbeit. Anders ist es nicht möglich. Im übrigen kriegen wir das Problem ja so oder so. Die Erwerbslosigkeit wird immer weiter ansteigen, und je weiter sie ansteigt, umso schwieriger ist sie finanzierbar. Es ist ja schon lange in Diskussion, Sozialhilfe zumindest teilweise in Naturalien auszuzahlen. Weil immer weniger Beschäftigte immer mehr Erwerbslose dauerhaft einfach nicht finanzieren können.

Freundliche Grüße
von Garfield


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